Dienstag, 10. September 2013

Wie der kleine Jörg einmal seine Tante "bestrafte". . .

 . . . und was er daraus gelernt hat
 

In den großen Ferien war ich jedes mal bei Oma, Opa, Tante, Onkel in Stade, einer Stadt im Norddeutschen in der Nähe von Hamburg. Diese bewohnten dort in der charmanten Altstadt ein behutsam renoviertes Fachwerkhaus.

Ich bezog dort immer einen kleinen Raum im Dachgeschoss, gleich um die Ecke wo Oma und Opa wohnten. Das war "das Kabuff" und mein Feriendomizil. Schön war, dass im Nachbarhaus in den Sommerferien zwei Brüder, ungefähr in meinem Alter, bei ihrer Oma zu Ferienbesuch waren. Ihrer Herkunft nach nannte ich sie "Die Frankfurter", und je nachdem, wie sich die Ferientermine überschnitten, hatten wir eine kürzere oder längere Zeit des Beisammenseins. 

Wir streiften dann gerne zusammen durch die Stadt, die ja überschaubar war, im Vergleich zu unseren Herkunftsstädten Frankfurt und Duisburg, und die wir bald wie unsere Westentasche kannten. Zum Beispiel pflückten wir Mirabellen am nahen "Mirabellensee", wie wir ihn nannten, ein kleiner See in der Stadt, an dem die Angler saßen, der nach Kalmus duftete und um den die Bäume mit den kleinen gelben Pflaumen wuchsen. Heute ist dieser See übrigens ein Parkplatz. Das war wohl wichtig für eine aufstrebende Kleinstadt, dass genügend Parkmöglichkeiten da sind. So lebt der Mirabellensee als Kinderparadies nur in meinen Erinnerungen weiter.

Am liebsten aber gingen "Die Frankfurter" und ich angeln. Dann streiften wir mit unseren Angeln durch die Wiesen hinter den Schwingedeichen, bis wir an die breiteren Gräben kamen, und setzten uns auf die hölzernen Brücken, welche diese breiten Gräben überzogen. Unter diesen standen immer die Plötze, das wussten wir. Und wir fingen nicht zu knapp, auch wenn wir das eine oder das andere Mal vor dem Fischpächter flüchten mussten. Wir waren jung und hatten schnelle Beine. Tante und Onkel nahmen die Herkunft der Fische nicht zu genau und verspeisten sie jedenfalls mit Genuss.

Meine Tante und mein Onkel hatten so ihre eigenen Gedanken zur Kindererziehung, das lag wohl daran, dass sie selbst keine hatten. Da war das leidige Thema Mittagsschlaf. Sie waren der Meinung, dass ein Kind eines Mittagsschlafes bedarfe, der eine Regelmäßigkeit vorweisen müsse, damit er seine segensreiche Wirkung entfalten könne. Jeden Tag nach dem Mittagessen musste ich in das Kabuff und mich in das Bett legen, das wurde streng kontrolliert, ob ich auch da drinnen lag, und meinen Mittagsschlaf hielt, oder wenigstens so tun, als hielte ich ihn.

Oft war ich überhaupt nicht müde, und als ich älter wurde, begann ich mich auch zu wehren und Widerspruch einzulegen. Einmal war der Disput um das Halten des Mitagsschlafes recht heftig und ich lag am Ende sauer und beleidigt in meinem Kabuff und hegte finstere Gedanken. Bis schließlich der Ruf meiner Tante erschallte: "Jörg!". ´Ne!´, dachte ich, ´ruf du nur! Ich bin sauer und ich rege mich kein Stück!` So nahm ich mir vor, Onkel und Tante durch Nichtbeachtung zu strafen. Die Tante rief noch einige Male, dann verstummte das Rufen. So hatte ich meine kleine Rache, ich hatte die Tante rufen gelassen und nicht beachtet. Etwas wie Genugtuung begann in mir zu wirken.

Es sollte sich aber zeigen, dass es "Die Frankfurter" waren, welche die Tante zu ihrem Rufen veranlasst hatten. Diese hatten geschellt, um mich zum Angeln abzuholen. Da ich nicht reagierte, nahm meine Tante an, dass ich wohl zu fest eingeschlafen sei, um zu reagieren, und schickte die beiden Nachbarjungen fort, auf ein anderes Mal vertröstend. Auch wurde sie fortan noch nachdrücklicher in ihren Bestrebungen, mich in den Mittagsschlaf zu schicken, denn mein tiefer Schlaf an diesem Tag hatte ja die Notwendigkeit desselben bezeugt.

Oh, war ich bestürzt und beschämt über mich selbst. "Die Frankfurter" beim Angeln, ohne mich, ich gelangweilt im Hause der Verwandten, und dazu die Aussicht, den Absichten der Tante bezüglich des Mittagsschlafes in Zukunft noch weniger entgegen setzen zu können. Da hatte ich, wo ich zu strafen gedachte, nur mich selbst bestraft. Lange noch hallte in meiner Seele das Gefühl von Beschämtheit nach, und lange brauchte ich, um diese Geschichte überhaupt erzählen zu können.

Und ich denke darüber nach, ob es nicht oft so ist, dass wir jemanden, warum auch immer, mit Nichtbeachtung "strafen" und uns im Grunde selber treffen? 

p. s. Was den Mittagsschlaf betrifft: Den halte ich, wenn möglich, täglich, und ich genieße ihn. Meist sind es nur so zwanzig Minuten, wo ich ruhe, doch ich fühle mich danach ausgeglichener und erfrischter.




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