Donnerstag, 31. Oktober 2013

Selig nehmen

"Geben ist seliger denn nehmen", dieser Satz ist bekannt, selbst Menschen, welche nicht gerade bibelfest sind. Es scheint auch irgendwie ein geheimes Einverständnis unter den Menschen zu sein, dass dieser Satz eine echte Tugend in sich birgt. Der Gebende, der den Armen gibt, die Reichen, die zwar nicht durch das Nadelöhr in das Himmelreich kommen, doch sich durch seliges Geben einen Teil davon erwerben können. 

Ja, erwerben. Denn: Wenn geben seliger denn nehmen ist, was ist dann mit der Seligkeit der Nehmenden? Müssen sie sich dankbar mit den Brosamen zufrieden geben, welche ihnen gegeben wurden, weil, durch welche Umstände auch immer, sie in die Position der Nehmenden gelangt sind? Und ist der Preis für das Nehmen nicht etwas hoch, wenn dadurch Seligkeit verloren geht? In Zeiten anwachsender Armut und in den Ohren von Hartz IV - Empfängerinnen und - Empfängern muss dieser Satz eigentlich zynisch klingen. 

Kaum jemand ist gerne in dieser Situation des Nehmenden, und muss sich dann noch auf der Unseligeren Seite der menschlichen Gesellschaft wieder finden. Eigentlich ist solcherart Nehmen doch ein Geschenk der Nehmenden an die Gebenden. Wenn die letztlich dadurch mehr Seligkeit erhalten, wer gibt und wer nimmt denn eigentlich?

Mir ist noch kein Mensch begegnet, der nicht irgendetwas zu geben hätte, und sei es ein Lächeln, einen lustigen Witz oder das Wissen, wie man eine festsitzende Schraube löst. Gibt es denn in einer funktionieren menschlichen Gemeinschaft nur die Seligkeit der Gebenden und die, welche nehmen? Selig ist das Nehmen und Geben, und ein jede und ein jeder Nehme und Gebe mit Freuden. Ich nehme mir für heute frei und erfreue mich am milden Herbst und einen lustigen Nachmittag mit meinem Sohn. Der gab mir schon so viel im Leben, dass ich mich als Nehmender wahrlich selig fühle. Und: Es gibt eine Vielzahl Menschen in meinem Leben, bei denen ich so fühle. 




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Mittwoch, 30. Oktober 2013

Aus dem Tierleben: Ziegen




Meine Ziege,
wirklich kein dummes Vieh,
liest die Zeitung nicht,
sondern sie frisst die.

Ich denke mir:
so ist recht.
Wenn schon nicht die Wahrheiten,
so ist wenigstens das Papier echt.


               ¨˜“ª¤.¸* ☸ *¸.¤ª“˜¨



Auch das Tier ist nur ein Mensch,
mit Gedanken, die sich um das Futter drehen,
und um weitres Wohlbefinden,
ohne weiter zu verstehen,

mein Ziegentier, zum allgemeinen Beispiel,
liebt mich innig über alles,
doch im Falle eines Falles
sagt ihr der Futtereimer mehr als viel,

und wenn es sich dann sattgefressen,
wendet es sich wieder dem Spender zu,
legt den Kopf in beide Hände,
schaut: Ich bin bedürftig, willst denn Du?. . .

und ich streichle sie, und denk dabei,
wer von uns beiden ist hier frei?


Ziegen

Ziegen sind neben dem Hund die Tiere, die sich am frühesten dem Menschen anschlossen. Das ist für mich nicht verwunderlich, sind es doch mit die nettesten Haustiere, die ich mir vorstellen kann. Neugierig sind sie, und dem Menschen zu gewandt. Ein Ziegen haltender Freund sagte mir einmal, dass die Ziegen eher zum Menschen hin gingen, denn vor ihm flüchten. Wenn Ziegen scheu sind, dann werden sie nicht richtig gehalten.

Ich selber durfte Mitte der achtziger meine eigenen Erfahrungen mit Ziegen machen, denn zu dem kleinen Hof in Ostfriesland, welchen wir als Gruppe übernahmen, gehörte auch eine kleine Ziegengruppe, fünf Muttertiere und ein Bock. Mir oblag es, sich um diese Tiere zu kümmern. 

Ziegen leben nicht in Herden, sie leben in Gruppen. Und: Es sind wirklich die Ziegen, welche in Gruppen leben, die Böcke streifen einzelgängerisch durch das Land und treffen die weiblichen Tiere nur in der Paarungszeit. Auch wir hatten den Bock, Pan hieß er, in einem eigenen Stall gehalten. Schon aus dem Grunde, dass er etwas streng roch, und sich das Odeur auf die Milch übertragen hätte. Denn unsere Ziegen waren unsere Milchlieferanten. Wir stellten dann daraus Ziegenkäse her.

Innerhalb der Ziegengruppe gibt es eine Leitziege. In der Zeit, wo ich die Gruppe übernahm, stand dort gerade ein Wechsel ins Haus, die alte Leitdame namens Frieda wurde abgelöst von einer kräftigen Ziegenfrau mit dem Namen Gazelle. Das ging nicht ganz unfriedlich ab, und Frieda zeigte einige Zeit nach der Absetzung Anzeichen von Depression, bis sie sich in ihre neue untergeordnete Rolle eingefügt hatte.

Nachdem ich einige Zeit vom Vorbesitzer der kleinen Gruppe angelernt worden bin, musste ich meine Rolle als neues "Leittier" in der Gruppe finden. Das war nicht ganz einfach. Als ich das erste Mal alleine melkte, bekam ich das zu Spüren. Andauernd hatte ich wieder einen Ziegenfuß im Melkeimer, Frieda machte sich einen Spaß daraus, mich auszutesten. Und während ich immer hilfloser wurde, und das wohl spürbar war, meckerte die ganze Bande fröhlich, ich fühlte mich wie ausgelacht.

Unsere Ziegen kamen nach einem morgendlichen Hütegang in einem Buschland, welches zu unserer Hofstatt gehörte auf die Weide. Wir hatten drei Koppeln, damit die Ziegen immer eine nach und nach abweiden konnten. Auf der mittleren Koppel befand sich, noch einmal durch einen Zaun abgetrennt, der Hühnerstall mit dem dazugehörigen Scharrgehege. 

Ich war noch verhältnismäßig unvertraut im Umgang mit den Tieren, alles war für mich noch neu, als ich eines Abends zum Füttern der Hühner das Scharrgehege durch das Tor im Zaun betrat. Ich schloss hinter mir das Tor, doch wohl nicht genügend. Denn schon nach kurzer Zeit stand hinter mir Gazelle, die mittlerweile die Leitziege war, hinter mir im Scharrgehege und knabberte fröhlich den für die Hühner gedachten Mais. An diesem Tag befand sich die Ziegengruppe auf der mittleren Koppel.

Ich packte Gazelle bei den Hörnern und komplimierte sie aus dem Hühnergehege. Unsere Ziegen waren thüringische Bergziegen, mit Hörnern, und ich fand die "Griffe" am Kopf schon immer praktisch. Ich wandte mich wieder dem Hühnerfüttern zu, doch schon nach kurzer Zeit kam mir Gazelle wieder ins Gehege. Wortwörtlich. Noch einmal packte ich sie, und verfrachtete sie auf die Koppel.

"Dreimal ist Bremer Recht", und so sollte es auch hier ein drittes Mal geben. Nur ließ sich diesmal Gazelle nicht so einfach bei den Hörnern packen, sondern lief immer hübsch rundherum um das Hühnerhaus, und ich wie ein Depp hinterher. Bis ich einfach die Richtung wechselte und ihr entgegen kam. Den Trick kannte sie noch nicht, und so konnte ich sie ein drittes Mal packen.

Ich also mit dem Vieh an den Hörnern hinter mir her auf die Koppel, wir beide waren wohl schon etwas wütend, ich für meinen Fall sicher. Gazelle wohl auch, denn als ich sie los ließ, da stellte sie sich auf die Hinterbeine, ließ einen Schnarchlaut hören und schlug mit den Hörnern nach mir. Da wurde es mir doch zu bunt. Noch einmal packte ich sie, führte sie trotz ihres sich Wehrens zu Boden und fixierte sie mit einem Bein. So hielt ich sie eine Weile, bis meine Wut verraucht war.

Dann ließ ich sie wider los, sie stellte sich auf. Zuerst wollte ich ins Hühnergehege zurück, doch dann machte ich kehrt, denn ich wollte die Sache so nicht stehen lassen. Ich setzte mich in der Hocke vor Gazelle, so dass wir Aug in Auge zu einander waren. Ziegen haben faszinierende Augen mit wunderlichen rechteckigen Pupillen. Etwas Geheimnisvolles liegt darin.

Nachdem wir uns eine Weile angeschaut hatten, begann ich zu reden. Ich erzählte ihr, dass ich das so wirklich nicht wolle, diesen Kampf und Krampf, und dass mir an einem friedlichen Zusammensein gelegen sei. Das alles und mehr redete ich mir von der Seele, während ich Aug in Auge mit der Leitziege dasaß.

Dann ging zurück zum Hühnergehege und streute weiter mein Futter. Ich beobachtete, wie sich Gazelle erneut dem Tor zum Gehege näherte. Ich ging zu diesem Tor, und wieder schauten wir uns an, ich auf dieser Seite, sie auf der anderen. Dann grinste sie mit einem Male, Ziegen können einen wundervoll frechen Gesichtsausdruck annehmen, stupste mit ihren Hörnern an das Tor gemäß dem Motto "Wenn ich wollte, könnte ich", grinste noch einmal, wendete sich und ging ihrer Wege.

Nach diesem Ereignis war ich als "Leitziege" anerkannt, es entwickelte sich ein vertrauensvolles Beisammensein mit den Tieren. Ich hatte sie in mein Herz geschlossen, die liebenswerte Bande. Und beim Melken hatte ich auch keine Probleme mehr.

Nächstens mehr.




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Dienstag, 29. Oktober 2013

Beobachtungen

Der "Viertelmond" zog vorüber, und damit hat sich wieder einmal das Wetter gewandelt, es ist zwar noch mild, doch das Sonnige ist verschwunden. Es ist eine Beobachtung von mir, dass sich um Voll- und Neumond und um die beiden " Viertelmonde" herum das Wetter ändert, wenn es denn wechselt. Nun gibt es genügend Stimmen, die meinen, das eine hätte mit dem anderen nichts zu tun. Dass es manchmal so ist, macht aus diesen Beobachtungen keine Regel, es ist nichts, woraus sich etwas herleiten ließe.

Ebenso wenig, wie es bei Vollmond eine vermehrte Zahl von Gewalttaten gäbe, wie ein Polizist in der örtlichen Zeitung berichtete, das zeige die Statistik. Doch habe ich es häufig erlebt, dass in der Stadt am Abend eine sehr eigene Stimmung und Schwingung war unter den Menschen, wenn es auf Vollmond zu ging. Meine persönliche Beobachtung: Nicht direkt die Vollmondnacht ist die Schwingungsreichste, es ist die Nacht vor Vollmond. 

Ein Bauer, der Bunte Bentheimer Schweine hielt, ging, wenn eine seiner Sauen kurz vor dem Ferkeln stand, immer an den Computer, um den Tidenstand der Nordsee zu erfahren. Wenn die Flut kam, dann kamen die Ferkel, so seine Erfahrung. Er hatte eine innige Beziehung zu seinen Tieren, und diese wiederum lebten teilweise einen Teil des Jahres draußen. 

Bitte fragt mich nicht, ob ich so etwas "glaube". Ich weiß nicht, was ich glaube, ich weiß nicht einmal, ob ich glaube. Doch dieses Mal bin ich in meinen Beobachtungen wieder bestätigt worden, dass um die Mondphasen herum das Wetter wechselt. In meiner Welt ist das dann so, und kurz vor Vollmond benehmen sich die Menschen seltsam anders. Letzteres aber ist kaum greifbar, doch im Austausch mit Menschen erfahre ich, dass es auch andere gibt, die so schauen und fühlen.

Als wir Stadtkinder uns in Ostfriesland in Landwirtschaft übten, gab es jedes Frühjahr das gleiche Problem: Das Heu trocken ein zu bringen. Da konnte ein Tag zu früh oder zu spät mähen die gesamte Ernte verderben. Bei uns im Dorf gab es einen Bauern, wenn der begann mit der Mahd, dann begannen alle anderen flugs genauso. Das lernten wir schnell, auf diesen Bauern zu achten. Er lag immer richtig, selbst in schwierigen Jahren. Und keiner fragte: "Glaubst Du daran?" Woher dieser Bauer das alles so genau wusste, konnte er selbst nicht erklären. Doch Hauptsache, das Heu war trocken im Schober.

Jetzt ist die Zeit des letzten Viertel des abnehmenden Mondes, hin zum Neumond. Alle meine Kräfte bewegen sich nach innen, ich bin nachdenklicher, innengerichteter, auch schneller in Melancholie befangen, wenn etwas nicht so richtig klappt. Manchmal überraschend in Traurigkeit befangen. Doch nie so, dass es wirklich tief in meine Lebensorganisation eingreift, denn ich bin mir ja gewiss: Es geht vorüber, und der nächste aufsteigende Mond kommt bestimmt. 




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Sonntag, 27. Oktober 2013

Als Erinnerung an einen schönen Sommer: Knickgeflüster



Für die nicht im hohen Norden Deutschlands wohnenden unter meinen Leserinnen und Lesern, also all diejenigen, die dort zuhause sind, wo man nicht den lieben langen Tag "Moin" oder "MoinMoin" sagt, eine kurze Erklärung zu dem Wort "Knick". Es bezeichnet bei uns nicht etwa den berühmten Knick in der Optik, sondern um die Feldhecken, meist bestehend aus Weißdorn, Schlehdorn, Krieten und anderen strauchigen Gewächsen, welche hier früher die Felder und Weiden umgaben. Leider ist zu sagen "früher", denn sie wurden weitestgehend abgeschafft.

Doch an einigen Orten gibt es sie noch, die Knicks. Dort laufen dann alle sieben Jahre die Telefone der unteren Naturschutzbehörde heiß. Denn die fachgerechte Pflege eines Knicks besteht darin, sie alle sieben Jahre "auf Stock" zu setzten. Das heißt, sie dreißig Zentimeter über dem Boden abzusägen. Das sieht martialisch aus und wird auch von der natürlichen Landwirtschaft entfremdeten Menschen so wahrgenommen. Doch die Feldhecken wachsen durch diese Maßnahme um so dichter wieder nach und bieten so einer schutzsuchenden Fauna Obdach. Das Knickholz wurde übrigens früher nicht einfach gehäckselt, sondern die dickeren Aststücke wurden auf Länge gesägt und kamen nach dem Trocknen in den Küchenofen und das Reisig in den Lehmbackofen zum Befeuern für das Brotbacken.

Wenn ich denn als Dingefinder im Sommer und im Herbst die Knicks entlang gehe, um Beeren für leckere Marmeladen zu sammeln, kann es geschehen, dass ich etwas außerhalb der Zeit gerate. Dann höre ich das Knickgeflüster. . .


Knickgeflüster

Beere Brom
sagte zu Beere Him:
"Wenn ich
in den Himmel komm,
dann sing ich
all die frommen Lieder
und komm
als Erdbeere wieder!"

Sagte Beere Him
zu Beere Brom:
"Du weißt,
dass es Himmel
und nicht Brommel heißt!"

Der Tick-Takt


"Gefühlt" ist es gerade Sommerzeit. Selbst die Nacht ist mild und eine freundliche Mondsichel illuminiert den erwachenden Garten. Doch das ist sicher nicht mit "Sommerzeit" gemeint. Die "Zeitumstellung" zeigt uns die Willkür, mit der wir regiert werden. Ich denke, bei einer Direktabstimmung würde der Unfug, die Uhr turnusmäßig eine Stunde hin- und her zu verstellen, aufhören. 

Sie zeigt uns jedoch auch etwas anderes: Die Entfremdung des Wesens Mensch von der umgebenden Natur. Als gäbe es nichrt Körperrhythmen und Jahreszeiten- und Tagesrhythmen und noch mehr in einander verwobenes Schwingen, wird einfach getaktet. Der Tag wird getaktet nach dem TickTack der Uhr (Ein Geräusch, das im Zeitalter der Digitalisierung kaum noch jemand kennt), die Schul- und Arbeitszeiten nach diesm Tick-Takt eingerichtet, die Menschen durch Strafmaßnahmen ("Du bist ja wieder zu spät!") so lange einge-nordet, bis sie die Orient-ierung verlieren.

Wohl der und dem, die sich die Zeit etwas freier einteilen können, und den Wecker nicht brauchen. Ganz einfach ist das nicht, denn die Eingriffe in die Lebensrhythmen der Menschen greifen diktatorisch tief in die gesamte gesellschaftliche Organisation ein, und erreichen somit so ziemlich jede und jeden. Und der Widersinn geht ja noch weiter. Las ich doch, dass zum Beispiel in Spanien die Siesta, welche die Mittagshitze mit einer Ruhepause überbrückt, zugunsten eines durchgehenden Arbeitstaktes abgeschafft wurde.

Manchmal hat der ganze Unfug auch erheiternde Erlebnisse zufolge. Einmal hatte ich vergessen, die Uhr schon am Samstagabend von Sommerzeit auf normale Zeit umzustellen. Es war ein sonniger Oktobersonntagmorgen und ich war spät dran. Ich sollte eine Kräuterwanderung leiten. Ich schwang mich aufs Fahrrad und kam hechelnd wie ein Hund kurz vor knapp am verabredeten Treffpunkt an.

Die Gruppe war schon da. Aber sie benahm sich so komisch. Als ich auf die Gruppe zustürmte und eine Entschuldigung loswerden wollte, interessierte das niemanden. Ich wurde in etwa wie ein Ausirdischer angeguckt, was mich sehr irritierte. Es war jedoch gar nicht meine Gruppe, sondern eine fröhliche Wanderschar, die sich an diesem Morgen an dieser Stelle traf. Ich war eine Stunde zu früh.




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Samstag, 26. Oktober 2013

Realitäten - Besitzer

Beim Schlendern über einen Kirchhof in Niederösterreich fiel mir folgende Inschrift auf einer Grabplatte auf: "Hier ruhet Josef Wegl / Realitäten - Besitzer". Das Wort ließ mich Schmunzeln: "Realitäten - Besitzer". Wird der Begriff gegoogelt, ergibt sich folgende Auflösung: "Das ist kein Berufsstand. Realitäten ist ein anderes Wort für Immobilien, also Häuser oder Grundstücke oder einfach nur Land."  So in etwa hatte ich es schon vermutet. Doch auf dem Spaziergang zurück zu unseren Gastgebern ließ mir das Wort keine Ruhe. Immer wieder musste ich darüber nachdenken. "Realitäten - Besitzer".

Allein die Mehrzahl des Wortes Realität finde ich entzückend. Sie impliziert, dass es nicht nur mehrere Realitäten gibt, sondern auch, dass ich deren mehrere besitzen kann. So schaue ich mir meine Realitäten einmal an: Da ist mein KleinHäuschen. Es gehört mir und somit ist es sogar im engeren Sinne des Wortes eine Realität. (Wenn ich später einmal ruhen sollte, möchte ich auch diese Bezeichnung auf meiner Grabplatte). 

Die nordamerikanischen Indianer nun, welche von den weißen Realitätensuchern überrascht wurden, kannten kein Eigentum an Grundstücken, Häusern und Land. Sie lebten gewissermaßen außerhalb der weißen Realitäten, und das ist ihnen nicht gut bekommen. Ihre inneren Realitäten schlugen nicht zu Buche. 

Eine meiner Ausbildungskollegen hatte jedes Mal, wenn jemand sagte: "Das ist mein!" einen Spruch zur Antwort: "Schließ die Augen! Alles, was du dann siehst, das ist dein!" Er fand dieses Sprüchlein so lustig, dass er es bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit anwendete. Nun, mancher Acid-Head war entzückt oder entsetzt über die Fülle der Realitäten die ihn bei geschlossenen Augen heimsuchten. Bei geschlossenen Augen lassen sich Bilder schauen, und wenn ich intensiver die zarten Hände der Liebsten auf der Haut spüren möchte, schließe ich die Augen. Oder wenn ich mich ganz dem Genuss des Musikhörens hingeben möchte oder die Aromen eines leckeren Gerichtes ganz auf der Zunge zergehen lasse. Sind also diese Dinge die eigentlichen Realitäten? Ich selber vermute schon. Wusste doch schon meine Großmutter: "Nackt werden wir geboren und nackt gehen wir wieder". 

Da mag ich noch sosehr Realitäten - Besitzer im Äußeren sein, am Ende nehme ich nur das mit, was ich bei geschlossenen Augen sehen (und fühlen) kann. Nicht umsonst gibt es den Brauch, einem Toten die Augen zu schließen als letzte Liebesgabe. Bei geschlossenen Augen sind die Realitäten realer. Die, welche ich eigentlich besitze, wenn der Ausspruch des Kollegen dann Wahrheitsgehalt hat.

Es gibt eine Vielzahl von Realitäten, sonst ließe von diesem Wort wohl kein Plural formen. Auch das eröffnete mir das Nachdenken über den Begriff auf der Grabplatte. Wenn ich meinen Abenddienst in einem öffentlichen Haus tätige, läuft in einem Gemeinschaftsraum der Fernseher nebenbei. Wir sind angehalten, darauf zu achten, dass dort immer der gleiche Nachrichtensender läuft. So sind meine beiden Dienste in der Woche auch immer meine Fernsehstunden, in denen ich eine mir fremde Realität bestaunen kann. 

Dieser Nachrichtensender hat nämlich so seine Eigenheiten. Einmal gibt es alle halbe Stunde das, was er in seinem Namen führt: Nachrichten. Dann gibt es selbstverständlich vor und nach diesen Nachrichten die allgegenwärtige Werbung, dazwischen werden sogenannte Dokumentationen gesendet, die, wissenschaftlich verbrämt, wohl ein Abbild der Realität liefern sollen. Es ist eine sehr männliche Realität, die dort in der Regel gezeigt wird: Die größten Maschinen, die ausgefuchstesten Kriegsgeräte, dann Expeditionen in Urzeiten, wo brüllende Bestien herumlaufen, selbst wenn Insekten gezeigt werden, was selten vor kommt, scheinen auch diese brüllende Bestien zu sein. Dann wieder Polizeieinsätze in den von kriminellen Banden beherrschten Innenstädten in einigen Gegenden der Vereinigten Staaten, dann wieder etwas über die Entstehung der Welt, welche bekanntlich mit einem Big Bang begann, oder wieder Reportagen über mögliche Weltuntergänge durch Eiszeiten, Meteoriteneinschläge, Vulkanausbrüche und Tsunamiwellen.

Sowohl in den Nachrichten als auch außerhalb blitzt und kracht es, und wenn einmal etwas Bedeutendes geschieht, gibt es den Liveticker, wo neben Börsen- und Sportergebnissen eben auch der Fortgang der Ereignisse zum Beispiel in den Ruinen von Fukushima erscheint. In den eigentliche Nachrichten heißt es dann: "Die Regierung gibt erst einmal Entwarnung. Bleiben sie dran!", und dann können wieder knallige Vulkanausbrüche begutachtet werden, während unten im Liveticker die "reale" Katastrophe ihren Fortlauf nimmt. 

Die Realität, welche mir dort vermittelt wird, ist eine andere, wie die, in der ich mich bewege, wenn ich zum Beispiel im Garten arbeite, die duftenden Äpfel ernte, die Bäume beschneide, die warme Herbstsonne, welche so unverhofft noch so spät im Jahr da ist, genieße. Es ist auch eine andere als die, in welche mein Sohn eintaucht, wenn er mit Freunden zusammen eines dieser Internet-Spiele spielt. Und eine andere als die, welche eine mit mir befreundete Sozialpädagogin erlebt, die mit Langzeitarbeitslosen arbeitet. Und. . . und. . . und. . .

So werden wir wohl alle zu Realitäten - Besitzerinnen und  - Besitzern, und jede und jeder hat so seine eigene. manchmal beschleicht mich das Gefühl, wenn ich darüber nachdenke, dass "Realität" etwas sehr Subjektives ist. Dem wiederum wird die Mehrzahl gerecht: "Realitäten". Ich schließe dann mal die Augen. . .




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Freitag, 25. Oktober 2013

Rot und Blau / Die letzten Rosen des Herbstes

Nein, das Rot und Blau des Titels bezieht sich nicht auf die letzten Rosen des Herbstes. Diese knallige Farbkombination, die eher auf dem Hawaiihemd eines bekannten Showmasters vermutet würde, ziert die Früchte und Fruchthülle des Chinesischen Losbaumes, Clerodendrum trichitomum, der im Sommer den Garten mit dem schweifenden starken Duft seiner weißen Blüten beglückt. Doch auch die Früchte sind eine "Schau", wie obiges Foto zeigt.
Die letzten Blüten der Rose "Sommerabend", die kleinen halbgefüllten Blüten stehen in großen Trauben. Gerade im Herbst leuchtet die rote Farbe des Sommerabends im falben Laub des Gartens. "Sommerabend" wird manchmal noch angeboten, als Bodendeckerrose. Doch viel schöner ist sie, wenn sie als Kletterrose gezogen wird, ihre Triebe werden mehr als zwei Meter lang. Ich habe sie gepflanzt, um einen nicht so hübschen Machendraht zu kaschieren. Sommerabend beginnt erst spät zu blühen, am Ende der Hauptblütezeit der Rosen. Dann jedoch reich und unermüdlich bis zum ersten Frost.

Die Mozartrose, eine hübsche, recht niedrig bleibende Strauchrose, meint auch, dass dieser Herbst ein sehr sommerlicher ist und verschönert den Garten mit ihren anmutigen Blüten.
Zitronenjette  -  die lieblich duftende gelbe Edelrose ist auch noch dabei. Es lohnt, jetzt jeden Augenblick im Garten zu verbringen und zu schauen und zu schnuppern. Der Winter ist lang. . .

Donnerstag, 24. Oktober 2013

Der kategorische Definitiv

Es gibt Worte, die können etwas benennen, obwohl da gar nichts ist. Sie werden für Erklärungen herangezogen, und wirken doch auf mich wie die Tinte des Tintenfisches auf den Fressfeind wirkt: Sie verstecken das Eigentliche. Es soll mit ihnen etwas definiert werden, und doch sind sie selbsterklärende Definitionen. 

"Synchronizität" im psychologischen Kontext ist so ein Wort. Es geschieht etwas in mir, gleichzeitig etwas Bedeutendes im Außen, dazu noch etwas einem nahestehenden Menschen, und es fühlt sich in meinem Inneren an, als hätte jemand daran "gedreht", als wäre da ein Geführtsein jenseits des Zufalles. Das wichtige an diesem Gefühl ist genau das Letztgenannte: "Jenseits des Zufalles". Wie sich "Zufall" anfühlt, das weiß ich: Als in einem merkwürdigen Moment eine mir wichtige Glasperlenkette aufging und die Glasperlen sich lustig hüpfend über das Pflaster des Bürgersteiges verbreiteten. 

Nach einem kurzem Schreckmoment sagte mir mein Gefühl: "Das hat nichts zu bedeuten, das ist ein Zufall". Es war eindeutig Zugefallenes ohne tiefere Bedeutung (es sei denn, die tiefere Bedeutung dieses Ereignisses läge darin, mich davon zu überzeugen, dass es Zufälle wirklich gibt). 

Anders war ein ähnlich gelagerter Fall (Fall im echten Wortsinne): Beim Auszug aus der ehemals gemeinsamen Wohnung meiner damaligen Freundin fiel mir mein Seelenstein auf die geflieste Schwelle, und ein Stücklein davon brach ab. Mein Seelenstein war ein kreisrunder Stein mit einer Hülle aus Flintstein, die Hülle war halbiert und legte das kreisrunde steinerne Innere frei. Lange rätselte ich daran, was für ein Stein das sei, bis ein Buch über Ostseesteine mich aufklärte: Es war ein sogenannter Klapperschwamm.

Diesen Stein trug ich seit meinem sechszehnten Lebensjahr bei mir, er war mein ständiger Begleiter und ich nannte ihn meinen Seelenstein, ein echter Talisman. Das er gerade in diesem Augenblick des Türeschließens hinter einer langjährigen Beziehung zerbrach, das hatte für mich Bedeutung. Auch, dass ich ihn kurze Zeit später erst einmal am Weserdeich verlor, doch wiederfand, dann aber ganz verlor. 

Diese Art Bedeutung fühlte ich, sie war eins mit dem, was in mir vorging. Ich brauche da nichts zu erklären, mir nicht und anderen nicht. Auch wenn manche Menschen solche Ereignisse als "Zufall" abbuchen, mir gelingt das nicht. Es war so, und so ist es mir passiert. Da jetzt den Begriff "Synchronizität" als "Erklärung" ins Spiel zu bringen, das klingt mir wie der Versuch, etwas, das außerhalb wissenschaftlicher Begrifflichkeiten stattfindet, zurück in die Halle der Wissenschaft zu ordern, die wohl so eine Art "hall of fame" ist.

Es ist etwas, was ich immer wieder erlebe: Es werden außerwissenschaftliche Ereignisse umgeformt durch Begriffe, die Wissenschaftlichkeit vortäuschen, um den eigenen Verstand zu überlisten: "Es geht doch mit dem wissenschaftlichen Weltbild überein!" Ich werde hier jetzt nicht all die Worte aufzählen, die genau diesem einen Zweck dienen. Es sind zu viele. Gerade im Bereich der Heilkunde gibt es zig solcher Wissenschaftlichkeit vortäuschende Wortgebilde. 

Ein anderer kategorischer Definitiv ist das Wort Karma. Man spricht es aus, und denkt, es hätte etwas erklärt. Ein Gefühlserleben hat einen Namen bekommen. Dass es einen ganzen Glaubensschwanz hinter sich her zieht, und dass Glauben nicht Wissen ist, das tritt häufig nicht zutage. Sicher, es ist möglich, dass ich schon einmal, vielemale, gelebt habe, und aus früheren Leben noch einiges abzutragen habe. Immer wieder hatte ich Erlebnisse und Begegnungen, die explizit auf diese Möglichkeit hinwiesen. Im Augenblick, wo so etwas eintrat, geschah es mit einer Folgerichtigkeit, dass ich keine Zweifel hatte, an etwas schon einmal Erlebten teilzuhaben.

Was tu ich damit? Ich nehme das Erlebte als gegeben an, und versuche da nichts zu interpretieren und hineinzugeheimnissen. Die eigentliche Botschaft des Erlebten erwächst aus dem unmittelbaren Gefühl. So ich es denn zulasse und keine Gedankenspiele davor stelle. Die Deutung liegt in sich selber, so wie das Wort "Karma" nur sich selbst definiert.

Doch es transportiert etwas mit, was sofort wieder die gefühlte Wahrheit "vergedanklicht". Karma setzt Reinkarnation voraus (ein nächster kategorischer Definitiv). Wo kommen sie denn alle her, die sieben Milliarden und mehr Seelen, welche mittlerweile den Planeten bevölkern? Werden welche ganz neu geboren? Wann wird eigentlich eine Seele neugeboren, und wann wandert sie? Hatten es die von uns so grausam getöteten Tiere es satt Opfer zu sein und sehnten sich danach, beim nächsten Eintritt in die Biosphäre einen menschlichen Körper zu haben? Warum sind so viele Tempelritter und Königinnen wiedergeboren und so wenig Bauern? (Eine subjektive Statistik aus eigenem Erleben). 

 Als Kind hatten wir ein Spiel, das uns ein einzelnes Wort in unendlich anmutender Aneinanderreihung sprechen ließ, als eine Art Mantra, auch wenn es ein Alltagswort wie "Küchenschrank" war. Konsequent über längere Zeit vor sich hingemurmelt verlor es nach und nach jeglichen Bedeutungsinhalt, bis nur noch eine lächerliche Worthülle übrig blieb. Genau dieses war der Ziel dieses Spieles, und wir konnten uns dann über den "Küchenschrank" als leere Worthülse mit komischen Klang kringelig lachen.

Ähnlich geht es mir, wenn ich länger über die kategorischen Definitve (von denen es weitaus mehr als die beiden hier aufgeführten gibt) nachdenke. Sie sind der Logik nicht gewachsen und verflüchtigen sich ins Lächerliche. Das tun meine Gefühlsinhalte nicht. Warum also soll ich ihnen diese Definitionen antun?



           Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort...


Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus;

und dieses heißt Hund, und jenes Haus,
und hier ist Beginn, und Ende dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör´ ich so gern.
Ihr rührt sie an: Sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.


                                                    Rainer Maria Rilke 





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Mittwoch, 23. Oktober 2013

Verschiebungen

Heute war wieder ein sonnigmilder Oktobertag, sommerlich gar. Ich erinnere mich an letztes Jahr, wo der Herbst bis weit in den Dezember hinein uns ebenso mit Milde segnete. Dafür jedoch dauerte der Winter bis in den April hinein. 

Ich genieße diese Milde, und am Samstag wollen wir eine Art Erntedankfest mit lieben Freunden im Garten veranstalten, unser schöner großer Wirsingkohlkopf findet den Weg in Kochgefäß und Mägen, dazu einiges anderes aus den Gärten. Da kommt uns dieser Spät-Spätsommer wahrlich zum richtigen Zeitpunkt. 

Und doch arbeitet es in mir. Waren früher die Jahreszeiten nicht eindeutiger? Wird nicht immer häufiger in den Zeitungen gemeldet "der kälteste Februar seit. . .", "der wärmste Dezember seit. . .". So als wäre das geschenkte Oktobergold ein Vorbote von etwas unheimlichen: Der menschengemachten Klimaerwärmung. Eine Erwärmung, die eben nicht unsere norddeutschen Gebiete in ein sonniges Florida verwandelt, sondern die Jahreszeiten verschiebt: Der Herbst bleibt länger mild, dafür bleibt es länger Winter. 

Kaum wird darüber spekuliert, dass das Vorboten von etwas Tiefgreifenden seien, schon wedelt wieder irgendwer mit einer anderen Statistik: "Alles okay, unsere Erinnerungen trügen, und es gab immer solche Wetterschwankungen."

Nun können meine Erinnerungen mich trügen, und es wirklich so. Ein Rest Unheimliches bleibt und mischt sich in das Genießen der unverhofften Wärme. Dann kommt es mir vor, als bewegten wir uns als Menschheit auf dünnen Eis, auf schwankendem Boden, und während wir uns an der warmen Gegenwart erfreuen, bricht sich etwas Unheimliches Bahn. . .

Als Gärtner habe ich gelernt, die Witterungsverhältnisse einigermaßen stoisch hinzunehmen, denn etwas anderes bleibt mir so oder so nicht übrig. Doch manchmal beschleicht mich ein Gefühl der Trauer und des Abschiednehmens von Vertrautem. Auch das lässt sich nicht ändern. . .





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Dienstag, 22. Oktober 2013

"Vergiss das Beste nicht. . ."

. . . das wurde dem Suchenden im Schatzberg zugerufen, in welchen er durch einen Zufall hinein durfte. In etwa geht das Märchen folgendermaßen: Ein Hirtenbub findet eine seltsame Blume, er pflückt sie, schläft an einem Hügel ein und erwacht in einer Schatzkammer, gefüllt mit Silber, Gold und Edelsteinen. Während er seine Taschen mit den Schätzen füllt, hört er immer wieder eine Stimme: "Vergiss das Beste nicht!" So schaut er sich um, ob es nicht noch etwas besseres gäbe als das, was er in seinen Taschen hat, leert das Silber und das Gold aus den Taschen und füllt mit Karfunkelsteinen und Diamanten wieder auf. "Vergiss das Beste nicht", und während er immer weiter grabscht und nimmt, beginnt die Einlasspforte zu schließen, er läuft, hinter ihm fällt mit einem Donnerschlag das Tor zu und der Hügel ist einlasslos wie vordem. Das Beste aber blieb in der Schatzkammer: Die achtlos beiseite gelegte Schlüsselblume.

Schade auch, dass diese seltene Blume nur alle tausend Jahre einmal zu finden ist. Hoffe ich, dass der Hirtenjunge genügend glücksbringende Schätze greifen konnte. 

Eine andere Variante des Schatzsuchermärchens erzählt vom tumben Tor, der angesichts des Alten eine wichtige Frage nicht stellt, den Mund wider besseres Wissen gar nicht auf bekommt. Da die Frage nicht gestellt wird, muss er den Schatzberg wieder verlassen. In diesem Falle jedoch bekommt er eine neue Chance, wohl, weil er reinen Herzens war. Es wird aber eine lange Geschichte voller zu bestehender Abenteuer, ehe es ein zweites Mal gibt.

So lässt sich bezüglich einer Schatzsuche vorerst zweierlei sagen: Zum einen, dass die eher unscheinbaren Dinge, welche im Glanze so schnell übersehen werden können, das Wertvollere sein können, als das Offensichtliche. Schnell ist da ein Tor verschlossen, und die Zeitspanne zum nächsten Öffnungstermin ist eine so ausgedehnte, dass die Schatzkammer unzugänglich wird. Wohl dem oder der, die in so angenehme Zeiten geraten, dass die in der Eile zusammen gerafften Schätze für den Rest des Lebens reichen. Modern gesprochen: Hoffen wir, dass kein Unbill, kein Krieg, keine Inflation, keine Krise kommt und dass all die irdischen Schätze ihren Wert behalten bis an ein hoffentlich krankheitsfreies Lebensende.

Im zweiten Falle liegt die Sachlage schon etwas anders. Ich bekomme meinen Schatz nur dann, wenn ich in der Lage bin, zu sehen, mitzufühlen und eine mitfühlende Frage zu stellen. Wohl gemerkt, eine mitfühlende und keine Wissbegierige. Bin ich gar so sehr in meinem Wesen gefangen, dass ich nichts sehe und somit keine mitfühlende Frage stelle, sondern allenfalls Feststellungen von mir gebe, welche mich in meiner Größe bestätigen, dann kann es sein, dass der Zugang zum Schatze für immer versperrt bleibt. Das ist eine lange Zeit.

Wenn ich reinen Herzens bin, jedoch die Frage nicht stelle, sei es, dass mein Gehirn justamente in diesem entscheidenden Augenblick blank ist, und dort gar nichts vor sich geht, sei es, dass ich die Frage zwar eigentlich weiß, im Inneren meines Herzens, jedoch nicht mich traue, sie zu stellen; in diesen Fällen bekomme ich eine zweite Chance. 

Eine weitere Variante der Schatzsuche gibt es noch: Mir wird eine Frage gestellt (oder drei), und wenn ich die Antwort weiß, wird mir der Schatz zuteil. 

Welche der Varianten mir auch begegnen, wenn ich auf Schatzsuche bin, im Grunde läuft alles auf eines heraus: "Vergiss das Beste nicht!"





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Montag, 21. Oktober 2013

Muss ich wissen? Was muss ich wissen?

In einem Meer des Wissens sich bewegen, andere sprechen von Informationsflut, und nun bin ich schon den dritten Tag da heraus, irgendwo in der Abseite, bei netten Menschen, und wir sprechen miteinander, lernen uns kennen, und nichts Tagesaktuelles dringt hinein, eine Art Klausur. Das Wetter spielt mit, indem der Oktober die Seelen sich noch einmal in Wärme ausweiten lässt. 

Jenseits der anschwellenden Flut der Begriffe, des angeblichen Wissenswerten, der so wichtigen Ereignisse der großen Welt treffen sich Menschen, drei Generationen und schon nach kurzer Zeit sind wir nicht mehr fremd. Wir beginnen, einander zu verstehen. Nicht in dem Sinne, dass wir "alles voneinander wissen", sondern im Sinne von Herzensannäherung. Auch so entsteht ein Wissen, ein vom schreienden Welt- und Tagesgeschehen entbundenes Wissen. 

Es war gut, dass uns Zeit und Wärme und Leichtigkeit geschwenkt wurde, um in dieser Intensität sich anzunähern, auch Dinge anzusprechen, die sich, mit weniger Achtsamkeit behandelt, zu einem Konflikt hätten entwickeln können. Wieder stoße ich darauf, dass das Menschengemäße verbunden ist mit der Verfügung über die gemeinsame Zeit, und dass Gemeinschaft nur entstehen kann, wenn diese Zeit vorhanden ist. Das Verstehen und Verständnisse diese Reifezeit brauchen, so wie guter Wein schon als Traube so lange wie möglich an der Pflanze bleiben sollte, um dann als gekelterter Wein noch einmal einer Reifezeit zu unterliegen.

Das, was wir im Kleinen erleben dürfen, trifft sicher auch für das Große zu. Prozesse in der Gemeinschaft brauchen ihre Zeit, und wenn diese Prozesse für alle gedeihlich sich entwickeln sollen, tun wir gut daran, ihnen diese Zeit auch zu gönnen. Unter dem Diktat von "Zeit ist Geld" ist letztlich keine Gemeinschaftsbildung möglich. Um das zu wissen ließen wir einiges an möglichem Wissen aus der Informationsflut an uns vorüberströmen. . .







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Sonntag, 20. Oktober 2013

Noch einmal das Oktobergold. . .



Noch einmal das Oktobergold,
noch einmal weiter Seele Flug,
noch einmal Ernteglück so hold,
noch einmal frei von Selbstbetrug.

Noch einmal Glanz und Gegenwart,
noch einmal der Liebe Überfließen,
noch einmal frohe Wanderfahrt,
noch einmal seliges Genießen.

Noch einmal Segen überm Land,
noch einmal weite Wiesen, taubeträuft,
noch einmal kleine Hand in große Hand,
und von Glitzersternen überhäuft.

So stehe ich, den Tränen nah,
umarme alle Wunder, allen Glanz,
noch einmal ward die Liebe wahr
und meine Seele ganz.

Die guten Früchte

Noch vor der Fahrt die guten Früchte geerntet: Hingen doch die letzten Äpfel und Birnen am Baum, und der erste leise Nachtfrost zog über das Land. Es sind die späten Sorten, die Lagersorten, die jetzt geerntet werden. Jeder Tag, den sie länger am Baume bleiben dürfen, um auch noch die letzten Sonnenstrahlen des Oktobers aufzunehmen, fördert den Wohlgeschmack der Früchte. Es ist ein Abwägen, sind doch die Herbstsonnentage diejenigen, welchen oft die ersten Frostnächte folgen. 

Wir ernteten, da wir mehrere Tage verreisen, und wir nicht Gefahr laufen wollen, dass wir nach dem Heimkommen nur noch beschädigte Früchte vorfinden würden. Diese Vorsicht erwies sich als berechtigt, denn schon am nächsten Tag beutelte ein Herbststurm die Baumkronen.

Dieses Jahr hatten wir nicht so viele Äpfel der Sorte Ontario, der Baum trägt nur alle zwei Jahre reichlich, "alternierend" heißt das in der Fachsprache. Doch dafür trug der kleine Boskop das erste Mal. Diese Früchte, die länger im Lager liegen müssen, um wohlschmeckend zu werden, erhalten eine besondere Behandlung. Handgepflückte Exemplare werden einzeln auf Papier in Holzstiegen gelegt, ohne dass sie sich gegenseitig berühren. Im geeigneten Lagerraum können sie dann lange Zeiten verbringen. Die letzten Ontarioäpfel des letzten Jahres aßen wir dieses Jahr im Mai.

In diesem Jahr trug der eine Birnbaum das erste Mal. Auch dies Birnen, die erst nach einer Zeit des Liegens ihren ganzen Wohlgeschmack entwickeln. Da sie in Bälde gegessen werden, dürfen sie auch etwas gehäufter in der Holzstiege liegen.

Mit dem Essen jener Früchte verleiben wir uns all die Sorgfalt und Liebe ein, die wir ihnen angedeihen ließen, ihnen und den Fruchtbäumen. Es ist eine Art Kreislauf: Das Schneiden der Bäume im Winter, um die Kronen in eine gefällige Gestalt zu bringen, das geduldige Schauen auf das Wachsen, das Ausschneiden der Gespinste der Apfelspinners, das Begleiten der Birnbäume, als sich die ersten orangefarbenen Flecken des Birnenrostes auf den Blättern zeigten. Der Befall war dann nicht so stark, dass wir eingreifen mussten; die Vorfreude auf die Ernte, als wir sahen, dass die Bäume angesetzt hatten, und die Früchte größer und größer wurden.

All das essen wir mit, wenn wir uns im Winter einen Apfel aus dem Lager holen und ihn verzehren.





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