Montag, 30. September 2013

Wolkenkuckucksbären. . .



Wolkenkuckucksheim


Wenn wir alle so was wären
wie Riesenwolkenkuckucksbären,
dann wären wir blumenkohlweiß
und lebten im ewigen Eis.

Wir würden von Fischen und Robben leben.
Wir äßen täglich Lebertran.
Außer Eis, Robben und Fischen
     würde es nichts für uns geben,
nicht einmal eine Straßenbahn.

(Gedichtet mit meinem damals 
 sieben Jahre alten Sohn,
 als wir zusammen auf dem Bett lagen
 und durch das Fenster
 dem Ziehen der Wolken zuschauten).


Wolken


Vorgestern war so ein Tag: Der Himmel ein tiefblauer Herbsthimmel, über welchen die Wolkenberge dahin zogen. Wir waren bei der diesjährigen Apfelernte des Vereines, wo die Äpfel für eine karikative Apfelsaftaktion gepflückt und gesammelt werden. So schön das Apfelernten auch war, immer wieder lenkte sich mein Blick gen Himmel, und ich schaute in das sich oben abspielende Wolkenkuckucksheim. 

Ganz wiedersprüchliche Gefühle durchquerten meine Seele, zum einen stand ich da, versunken in diese Wunderwelt von dahinziehenden Gebilden, in denen die Dinge sich zeigten, je nach Sicht; zum anderen fühlte ich mich oft auch klein und unbehaust, denn die Größe dieser Welt zeigte sich am Himmel.

Es ist doch eine grandios schöne Welt, in der ich lebe. . .  




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Sonntag, 29. September 2013

Die Ernteente




Eines Tages war sie auf unserer Terrasse, als ein Geschenk von Anna, unserer Gartennachbarin. Unsere grüne Ernteente. Eine wahrhafte Schönheit, und noch immer lebt sie auf unserer Terrasse, da wir sie noch nicht schlachten mochten. 

Die kleinen blanken roten Äpfel waren lecker, die Birne ist auch schon verputzt, zwar nicht mit den blauen Grünen Bohnen als "Birnen, Bohnen und Speck", einem leckeren regionalen Eintopfgericht, sondern zusammen mit Äpfeln und Zwetschgen als Dreifruchtkompott; und die Blüte der Rose New Dawn, einer Kletterrose, die an meinem KleinHäuschen wächst, ist schon verwelkt. Nur unsere Ernteente lebt noch. 

Nein, es ist nicht die gewisse Scheu vor Tierabbildern, die uns sie nicht hat schlachten lassen. Als Kind hatte ich sie, diese Scheu, und so rettete ich einmal ein Schwein, das aus einem Stück Seife geformt war, vor dem sicheren Verschwinden durch Händewaschen, indem ich es unter meinem Bett versteckte.

Nein, unsere Ernteente ist einfach zu groß für zwei Personen, außerdem mussten wir erst einmal wieder den Backofen aktivieren. Denn dieses Tier gibt es bei uns demnächst gefüllt: Gekochter Grünkern wird mit geriebenen Käse und Hefeflocken gemischt, gewürzt wird mit Majoran, Muskat, Knoblauch und Salz, dann wird das arme Tier halbiert, das Kerngehäuse mittels eines Esslöffels heraus gekratzt und in diese Höhlung kommt die Füllung. Dann die Hälften wieder aufeinanderklappen und ab damit in den Ofen, je nach Größe bis zu einer halben Stunde bei 220 ° garen. Der Käse zerläuft dann und gibt der Füllung die poröse Struktur von Hackfleisch. Durch das Gewürzdreigestern bekommt das ganze auch aromatisch eine so fleischliche Anmutung, dass sich einmal eine Vegetarierin weigerte, von der Füllung zu kosten.

Das ganze wird schön in Längsscheiben geschnitten und mit Meerrettichquuark gereicht. Ein leckeres Gericht für feierliche Anlässe, wie zum Beispiel das Erntedankfest.

So wird aus der Ernteente ein Festtagsbraten. 





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Samstag, 28. September 2013

Dingalog





                                                                   Dingalog


                                              Meine Sicht der Dinge
                                              ist, wenn es mir gelinge. . .
                                              - Nein! -

                                             Meine Sicht der Dänge
                                             ist, wenn es mir gelänge. . .
                                             - Nein! -

                                            Meine Sicht der Dingen
                                             ist, wenn es mir gelingen. . .
                                            - Nein! -

                                           Wenn ich vor allen Dingen
                                           andre Worte fände
                                           nähme dieses hier
                                           ein andres Ende.

                                           (Wenn nicht vor allen Dingen
                                            Dinge ständen,
                                            ich tät ganz andre
                                            Worte fänden).



Geschrieben im Jahre 1 nach der Rechtschreibreform

Es ist nie zu spät. . .


. . . eine glückliche Kindheit zu haben. Dieser Satz von Ben Furman begegnete mir gerahmt und gut sichtbar an der Wand platziert im Arbeitszimmer einer Bekannten. Ich las ihn, und er ließ mich eine Weile nicht mehr los. Ich dachte darüber nach. Im ersten Augenblick stimmte er mich fröhlich und positiv, doch beim längerem Nachdenken darüber wurde ich verdrießlich. 


Einer dieser Sätze, die aufmuntern sollen, und doch nur übertünchen. Meine Kindheit war keine "glückliche Kindheit", und sie wird es auch nicht werden, wenn ich sie verkrampft versuche umzudeuten. Es erinnert mich etwas an eine Frau, welche ich kannte, und die überall in der Wohnung eine sogenannte "postive Affirmation" gut sicht- und lesbar drapiert hatte. Überall hingen und lagen kleine Zettelchen mit der Aufschrift: "Ich werde in Kürze genügend Geld haben!". Sogar, als ich in der Küche die Besteckschublade aufzog, lag darin so ein Zettelchen. Fakt ist, dass sich diese "Kürze" bis heute hinzieht.

Meine eigene Kindheit hatte ihre glücklichen Stunden, ja. Vor allen wenn ich mit den Eltern und/oder Verwandten im Wald war und Pilze suchte, oder wenn wir Sonntag nachmittag alle zusammen Kanaster spielten. Doch eine unterm Strich "glückliche Kindheit" war das nicht. Als junger Mann dichtete ich:

"Meine Eltern haben mich in dieses Leben gebracht,
es war weder ihr noch mein Wille,
ich hoffe, wenigstens der Akt hat ihnen Spaß gemacht,
was dann kam waren Schläge und Stille,
eine Kindheit aus einsamer Nacht."

Das ist eine Wahrheit über meine Kindheit, die ich weder vergessen, noch verdrängen noch übertünchen möchte. Und: Es ist eine Wahrheit über so viele Kindheiten von Menschen, mit denen ich ins Gespräch komme. Diesen dunklen Aspekt der Kindheit gibt es in fast jeder, einmal mehr, einmal weniger. Erfreulich für die Menschen, die dort ein "weniger" stehen haben.

Mir selber war es ein Ansporn, die Welt zu ergründen, mir Gedanken zu machen über Gewalt, Krieg und wo das her kommt, und ein Ansporn, daran zu arbeiten, dass es damit weniger wird, mit dem Ziel, dass es ganz aufhören mag dami, auch wenn es utopisch erscheint. Und: Nie mehr soll ein junger Mann Verse wie obige schreiben müssen. Daran mit zu arbeiten ist mir wichtig. 

Dass ich die glücklichen Stunden der Kindheit im Herzen bewahrt habe ist ebenso wahr, und diese werden durch das Bewusstseins des Unglückes nicht geschmälert. Sie hatten Auswirkungen auf mein gesamtes Leben als Erwachsener, und noch heute hole ich mir Kraft und Lebendigkeit und Aufatmen nach schlimmen Erlebnissen im Walde. 

Auch sei hier nicht verschwiegen, dass mein Vater die Größe hatte, sich bei dem achtzehnjährigen Sohn zu entschuldigen, dass er ihn als Kind geschlagen hatte. Das ist ein Stück Erlösung, und ich bin ihm sehr dankbar für diese Geste. Da ist Versöhnung möglich, und allein schon das ist heilsam. 

Nein, ich werde durch alle Versöhnung und durch alles Tun keine glücklichere Kindheit bekommen. Doch eine glücklichere Gegenwart allemal. Und darum geht es doch: "Es ist nie zu spät für eine glückliche Gegenwart".




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Freitag, 27. September 2013

Der Geschmack der Kindheit

Bei einem Spaziergang durch die Bremer Wallanlagen wurde ich fündig: Unter einer Linde, die noch nicht einmal merklich groß war, wuchsen Pilze, die ich aus meiner Kindheit kannte: Kahle Kremplinge. Meine Großmutter hatte sie liebend gern gesammelt. Da sie sehr häufig sind, war es auch kein Problem, damit zu fast jeder Zeit ab Spätsommer damit den Pilzkorb zu füllen.

Am Abend einer solchen Pilzsammeltour gab es dann Pilzpfanne. Die Kremplinge färbten sich schwarz und entfalteten ihr ganz spezifisches etwas säuerliches, jedoch sehr kräftiges Pilzaroma in der Küche. Ich mochte diese Pilze. Im Sommer zur Saison wurden sie fast täglich verzehrt. 

Als ich sie dann so unverhofft wieder sah unter dieser kleinen Linde, da war mir das Odeur der gebratenen Kremplinge sofort wieder präsent. Einen Augenblick war ich wieder in Großmutters Küche, und wartete auf das abendliche Mahl, welches die erfolgreiche Pilzwanderung abschloss.

In den siebziger Jahren dann kam die Information: Kremplinge sind giftig. Sie verursachen nicht einfach nur ein Bauchweh, nein, sie verhalten sich heimtückischer. Das Gift akkumuliert sich im Körper, eine Vergiftung tritt erst nach mehrmaligem Verzehr der erhitzten Pilze auf, Antikörper werden gebildet, welche die roten Blutkörperchen auflösen, was im schlimmsten Falle zum Tode führen kann. So habe ich das verstanden.

Nun, ich habe alle Kremplingsmahlzeiten meiner Großmutter überlebt. Seit ich um die Giftigkeit dieses Pilzes weiß, sammle ich ihn nicht mehr. Doch als sie wieder einmal sah, einen anhob und daran schnupperte, war ich wieder in meiner Kindheit. Olfaktorische Eindrücke schenken uns die eindrücklichsten Erinnerungen. (Das habe ich irgendwo einmal gelesen).





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Donnerstag, 26. September 2013

Mauerwerke (. . . und ein neues Dingefinderrätsel)



Käuzchen, Käuzchen,
leise, leise
fliegst du des nachts
auf Mäusejagd,
fängst die Mäuschen
auf deine leise Weise
und schläfst wieder ein,
wenn es am Ende tagt.






Der Mauerhahn,
der ist kein Auerhahn,
er kräht nicht,
er steht nicht,
ihn gibt’s nur als Relief.

Und doch ist er hier im Garten
wider Erwarten
der designierte Chef.



Und hier das neue Dingefinderrätsel: Wo in Bremen befinden sich die beiden Tierchen, durch welche meine Mauerwerke inspiriert worden sind? Wie immer gibt es eine von Dingefinders Literarischen Wundertüten für die erste richtige Verortung. Der Ausweg ist wie immer rechtsgeschlossen. 

Wundertüte? Guckst du hier:

Von Hand aufgießen


Den Morgenkaffee bereiten. Am liebsten tu ich das noch immer, indem ich von Hand aufgieße, also die Filtertüte in einen dieser altmodischen Porzellanfilter drapiere, das Kaffeepulver darein gebe, nach dem Richtmaß jeweils einen gehäuften Teelöffel pro Tasse und einen Löffel extra für die Kanne, und dann das heiße Wasser nach und nach beigebe, bis die Kanne gefüllt ist. Ich erfreue mich dabei am Kaffeeduft in der Küche.

Sicher, wir sind auch in Besitz einer „Kaffeemaschine“, die den Alltag ja so erleichtern soll, da sie fast alles nebenbei und von alleine macht, nur den Filter muss man noch hineintun und das Kaffeepulver, Wasser in den Behälter füllen und den roten Knopf auf „an“ stellen. Schon kann man sich vom Tatort entfernen und sich anderen Dingen zuwenden.

Es gab Zeiten, in einer meiner Wohngemeinschaften, da gehörte dieses Ding zum Lebensrepertoire, bei uns vielen Menschen lief sie immerzu, unsere „Herz- Lungenmaschine“ nannten wir sie, ob der Geräusche, welche sie fabrizierte, besonders, wenn sie kurz vorm Abschluss ihres Kaffeeaufbrühvorganges war. Zisch Blubb Schnorchel Blubb Zisch Blubb.

Neben dem Aufbrühen des Kaffees wurde auch das Trinken des Kaffees zu einer Beiläufigkeit, mal eben im Gespräch aufstehen, sich eine Tasse Kaffee einschenken, wieder zurück an den Tisch, und weiter parlieren, ohne das Gespräch zu unterbrechen und sich wirklich dem Genuss des Getränkes hingeben. Irgendwann nervte mich dieses Vorgehen, nicht nur aus dem Grunde, dass ich da die eine oder andere Tasse mehr trank, als mir gut tat, sondern auch darum, dass es so beiläufig geschah. Ich empfinde, dass es dem Getränm nicht gerecht wird. Dass kein Genuss dabei ist.

Nun bin ich seit geraumer Zeit dabei, mein Leben zu entschleunigen. Den abstrusen Tanz um die Rationalisierung des Alltags nicht mehr mit zu machen. Sicher, eine Waschmaschine ist eine gute Erfindung. Ich weiß das, denn ich habe eine Zeit in einer Gemeinschaft gelebt, in der wir alles von Hand gewaschen haben, auch die Stoffwindeln für die kleinen Kinder. Es gibt begrüßenswerte Erleichterungen durch die Technik. Ein kleiner Einschub an dieser Stelle: Wer einmal über längere Zeit die Wäsche insgesamt von Hand wusch, entwickelt eine gewisse Dankbarkeit gegenüber den dienstbaren Geistern aus der Wunderwelt der Technik.

Doch nicht überall ist für mein Empfinden (und Wohlbefinden) diese Erleichterung angebracht, und gerade da nicht, wo es um die Zubereitung von so etwas Essentiellen wie die Nahrung und die Genussmittel sind. Hier möchte ich "Hand anlegen", dabei sein, mit allen Sinnen. Es ist etwas wie Meditation, und die Küche entwickelt sich zu einer Alchemistenküche, einem Labor für die Vergoldung des Alltags. 

In einigen Dingen gehe ich noch einige Schritte weiter. Zum Beispiel wird bei mir Pesto grundsätzlich in einem stabilen Steinmörser zubereitet, ebenso werden Koriander- Pfeffer-, Kardamonsamen darin zerkleinert. Das mag zwar archaisch wirken, doch die sinnliche Verinigung mit dem so hergestellten Gut ist den Preis, dass dieses Vorgehen mehr Zeit und mehr körperlichen Einsatz beansprucht, allemal Wert.  

Auch im Garten pflege ich gerne die Entschleunigung: Lieber mit der Sense mähen, lieber mit der Grabegabel den Boden bereiten, lieber mit einer gut geschärften Handsäge zu schneidenden Ästen zu Leibe rücken. Das geht ohne nervigen Motorenlärm vonstatten, der Kontakt zu den Mitwesen im Garten bleibt erhalten, und die Sinne und die Seele bleiben offen.

Zurück zum Kaffee. Ich weiß die nächsten Schritte zu mehr Vorfreude und Genuss am Kaffee. Da ist einmal das Mahlen der frischen Bohnen. Noch nehme ich dafür eine elektrische Kaffeemühle, diese altmodischen Dinger, wo man die Kaffeebohnen oben hineingibt, den Deckel drauf, und dann geht es "surr" "surr". Meine Handmühle, die ich auch besitze, mahlt mir nicht fein genug. Doch kann ich beim selber mahlen noch ein paar Kardamonkörner dazugeben, was ich gerade im Winter gerne tu. Kardamon erwärmt so schön von innen.

Noch einen Schritt weiter wäre, die grünen Kaffeebohnen zu kaufen, und morgens selber zu rösten. Eine kleine Kupferpfanne ist dafür schon vorhanden. Wenn der Kaffee kurz vor dem Aufbrühen geröstet wird, ist die Vorlust noch größer, denn die Küche und alle angrenzenden Räume duften intensiv nach Kaffee. So lässt sich aus dem Zubereiten des Kaffees eine kleine Morgenmeditation machen, eine Zelebrierung des Genusses, ein kleiner Ausstieg aus einer überbeschleunigten Welt. Jeden Morgen eine kleine Freude.





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Mittwoch, 25. September 2013

Zeit und Ort


Ein morgendliches Gespräch über eine zurückliegende kritikfähige Begebenheit. Im Nachsinnen darüber, was dort warum geschehen ist, stellte sich heraus, dass die Geschehnisse in einem ganz anderen Rahmen stattfanden, dass sie an einem anderen Ort in einer anderen Zeit sich begaben. Das, was heute an zu Kritisierenden darin zu sehen ist, verhielt sich bei der damaligen Sachlage ganz anders. In der damaligen Situation hatte es seine Richtigkeit und seine Berechtigung. Das war wichtig, herauszufinden, um den Knoten zu lösen, den dieses Geschehniss verursachte. Eine Art Gefühlsknoten, der dann wie eine Geschwulst als Missgefühl in der Bauchdecke sich einnistete. 

Gerade beim Wiederanschauen der vergangenen Situation wurde dieser Knoten wieder spürbar und verursachte ein (berechtigtes) Gefühl der Abwehr. Dadurch, dass der Begebenheit im vergangenen Ort und Zeitraum eine Sinnfälligkeit zugesprochen wurde, dass sie so geschehen durfte ohne nachträgliche moralische Bewertung, dadurch ließ sich im Gespräch der Knoten Verschlingung für Verschlingung lösen.

Das ist vielleicht nicht "heldenhaft", denn der Held in der Sage schaut sich einen Knoten an, nimmt das Schwert und schlägt ihn mit einem Hieb auseinander. Das sieht sehr tatkräftig aus. Besonders, wenn der Knoten unlösbar erscheint. Doch was ihn unlösbar macht, ist das Bewerten, und besonders unlösbar wird er, wenn das Bewerten noch mit Gefühlsinhalten angefüllt wird, die zur Zeit des Entstehens nicht da oder nicht relevant waren.

Das schafft dann ordentlich Zunder für ein Pulverfass in der Gegenwart. Da wehrt sich die eine Seite, mit dem Wissen, seine Integrität bewahren zu müssen, mit dem Wissen, zu sich selbst zu stehen und zu sich selbst "ja" sagen zu müssen, und die andere Seite kämpft mit dem Gefühl, dass da "irgendwas falsch war".

Den Knoten zu zerschlagen hieße dann vielleicht für die eine Seite, unter Türenknallen (symbolisch oder real) den (Gesprächs)Raum zu verlassen. Die heldenhafte Lösung scheint oft die "geradeste", und sicher, gerade, im Sinne von linear, ist sie. Die andere Lösung, Spur für Spur zu folgen, den Windungen der Knotenbahnen mit sensiblen Sinnen nachzufolgen, die kleinen Knoten im Knoten, welche den großen unauflösbar machen, einen nach dem anderen aufzudröseln, das kann als mühselig bis "unmöglich" empfunden werden. 

Doch oft ist es der einzige Weg. Der einzige Weg dahin, sich wieder auf einer neuen Ebene des Wissens und des Verständnisses zu begegnen, der einzige Weg, der Wunde aus der Vergangenheit ihren Stachel zu nehmen.

Dafür braucht es Zeit. Zeit in der Gegenwart. Und es braucht die Bereitschaft zu Frieden. "Recht behalten" ist zwar sehr ehrenhaft, doch es gibt auch die Möglichkeit, loszulassen, zu schauen, zu hören, um nach neuer Anschauung etwas viel schöneres als nur "Recht behatlen" zu bekommen: Die Lösung eines Knotens. 








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Dienstag, 24. September 2013

Ein Frohmular

Nein, es war nichts Schlimmes heut morgen. Durch den leichten Frühherbstnebel bin ich, noch etwas abwesend, da nicht so ganz ausgeschlafen, zum nächsten "BürgerServiceCenter" gegangen. So nennen sich hier in Bremen die amtlichen Stellen, wo alles Formularische abgewickelt werden kann: Personalausweisanträge, Pässe, Wohnungsummeldungen, Gewerbescheine, auch das Finanzamt hat eine Dependance. Ich selber brauchte für ein Ehrenamt ein Polizeiliches Führungszeugnis, wie gesagt, nichts Schlimmes.

Leider kam ich doch die entscheidenden Minuten zu spät, um mich in der sich bildenden Schlange weiter vorne zu platzieren. Wartezeit. Um mich herum Menschen, welche mit einem Auge auf den Monitor schauten, um den Augenblick zu erhaschen, in dem dort ihr Name erscheine. Das andere Auge verweilte auf einem Stapel Papier, Formulare. Einige taten sich sichtlich schwer mit dem Dechiffrieren der Amtssprache, tuschelten mit der mit gebrachten Partnerin oder dem begleitenden Freund, wiesen hierhin und dorthin: "Die Steuernummer fehlt noch", "Ja, woher soll ich die denn wissen?". Richtig froh sah hier niemand aus. Das inspirierte mich zu dem Entwurf des folgenden Frohmulars:

Name..............................................................................................................................*
Vorname(n)...................................................................................................................*
Geburtsdatum..............................................................................................................*
Geburtsort.....................................................................................................................*
Wohnort (Straße, Nummer, Postleitzahl, Ort).......................................................*
Staatsangehörigkeit...................................................................................................*
Geburtsname der Mutter...........................................................................................* 

Ich bin gerade glücklich!   Ja!: 

Die mit einem * Stern versehenen Felder bitte nicht ausfüllen. Wenn sie die letztgenannte Aussage nicht mit einem "Ja!" ankreuzen können, bitte ein Gesuch um einen Glücksvirus in die Kommentarleiste dieses Postings einsetzen. Diesem Gesuch wird noch heute nachgekommen.

Ich wünsche allen einen angenehmen Tag, angefüllt mit kleinen glücklichen Ereignissen,

liebe Grüße, Dingefinder Jörg Krüger




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Montag, 23. September 2013

Herbstbeginn

Sommersonne im Glas


                                                "Auch das ist Kunst, ist Gottes Gabe,
                                                 aus ein paar sommerlichen Tagen
                                                 sich soviel Licht ins Herz zu tragen,
                                                 dass wenn der Sommer längst verweht,
                                                 das Leuchten immer noch besteht."

                                                 Johann Wolfgang von Goethe



Gestern war so ein Tag: Ein Bilderbuchtag. Der Sommer verabschiedete sich milde und sonnig. Friede lag über den Gärten. Wir saßen auf der Terasse und schnibbelten Pflaumen und Birnen und Äpfel für unseren Dreifruchtkompott, der, mit Zimt und Nelken angereichert, im Winter immer so schön den Sommer in das Herz trägt. Erwärmt. 

Das Gefühl, welches in uns präsent war, ließ sich auf einen Nenner bringen: Dankbarkeit. Wir hatten ja auch im Sommer einiges an Stürmen überstanden, innere, auch war der Erntesegen aus den Gärten nicht der, welchen wir uns in der Aufbruchstimmung des Frühjahrs erhofft hatten; doch gestern gab es da nur Dankbarkeit. Danbarkeit aus einer tiefen Zufriedenheit heraus, dass das Leben so ist, wie es ist, und dass es schön ist. Heute.

Etwas, was für mich diese schwer zu beschreibende Innigkeit mit der Welt in Worte ausdrückt, ist das Gedicht "Herbstbild" von Friedrich Hebbel. Herbst wird ja so oft mit Abschied und Wehmut beschrieben, "wer jetzt allein ist. . .", und sicher, diese Seite ist auch eine Seite dieser Jahreszeit. Doch gestern war so ein Tag. Nicht zu unterscheiden, ob es der letzte des Sommers war, oder schon der erste des Herbstes, in der Stimmung des Lichtes.. Ein Tag der milden Ernte, der Süße der Früchte, des Friedens in der Seele. Eben ein Tag der Dankbarkeit.


                                                              Herbstbild

                              
                                       Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
                                       Die Luft ist still, als atmete man kaum,
                                       Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
                                       Die schönsten Früchte ab von jedem Baum.


                                       O stört sie nicht, die Feier der Natur!
                                       Dies ist die Lese, die sie selber hält,
                                       Denn heute löst sich von den Zweigen nur,
                                       Was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.





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Samstag, 21. September 2013

Einfach nur so da. . .





Heute morgen, als ich mit dem Schreiben beginnen wollte, saß ich einfach nur so da. . .

(Auf dem Foto oben mein damals vierjähriger Sohn. Diese kleine Collage aus bild und Text fand ich einmal in einem selbstgebastelten Adventskalender. Noch immer erfreue ich mich an Bild und Text)







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Freitag, 20. September 2013

Zweifel

Eine Computergrafik meines zwölfjährigen Sohnes mit dem Titel "ähh"

 "Ist zwifel herzen nâchgebûr, 
  daz muoz der sêle werden sûr." 
  Wolfram von Eschenbach

Eines der unmöglichsten Gefühle ist wohl der Zweifel. Er steht unter Generalverdacht, zum Beispiel im Glaube oder bei der Heilung. Jeweils soll er das eine oder das andere verhindern. Einmal bekam ich unfreiwillig, da lautstark im Nebenraum geführt, ein Telefonat eines Heilers mit einem Klienten mit. Da wurde auf den armen Ratsuchenden eingeredet, dass er doch die Zweifel an den Heilmitteln und Methoden fallen lassen müsse, da diese dem Heilungsprozess entgegen wirken würden. 

Bin ich doch gestern am späten Abend einer überraschend dunklen Vollmondnacht, es regnete auch leis, von meinem Spätdienst zurück ins KleinHäuschen gegangen, und fühlte mich einmal wieder klein und fern von allem Wissen, außerdem schmerzte ein Zahn im Kiefer, der sich an der Wurzel entzündet hatte, und überhaupt, die Welt war groß und schlecht.

Ich zweifelte in diesem nächtlichen Selbstgespräch an allem in mir, an allem, was ich tu und an der Richtigkeit desselben, und daran, dass ich meine Dinge anderen Menschen mitteile, und so oft in einem unzweifelhaften Zustande bin, und mir sicher, dass mein Tun für mich und andere hilfreich sein kann, und dass das alles am Ende doch nicht richtig und hilfreich ist.

"Wenn der Zweifel des Herzens Nachbar wird, dann muss die Seele schwer werden", so übersetze ich mir einmal frei obige Verse von Wolfram von Eschenbach. So ging ich denn zweifelschwer durch die Nacht, und brauchte gar nicht mehr zu denken, denn alles, was ich dachte, richtete den Blick auf das, was mir falsch und nichtig und ungerade vorkam. 

Ist dieser Zweifel nun einer Heilung abträglich? Ist er wirklich der Verhinderer dessen, was sich "Glaube" nennt? Oder ist er einfach nur die vernünftige Ernüchterung, die eintritt, wenn etwas nicht in mir stimmig ist, wenn mein Gespür mir sagt: "Hey, da war etwas unbeachtet, da bist du nachlässig mit dir umgegangen und hast nicht auf dein Inneres gehört".

Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter, und frage, gibt es irgendwas, was mir begegnet, das nicht letztlich meinem Wohlbefinden dient, meiner Heilung, meinem Annehmen meiner selbst? Ich kann versuchen, unangenehme Situationen zu verstehen, in Gedanken hin- und herwenden, zuhören, sprechen, wieder denken, so lange bis ich in meinem Kopfe ein Verständnis habe. Ich kann aber auch die Situation geschehen lassen und mich ihr nicht widersetzen und schauen, was geschieht. Im ersteren Falle bleibe ich oft an einem Wissen hängen, welches mein Herz nicht erreicht, und trotz allem Verstehens wird mir nicht leichter ums Herz. Im zweiten Falle geschieht es häufig, dass sich die unangenehme Situation auflöst und sich dann ein Verstehen einstellt, welches auch dem Zweifel keinen Hebel mehr gibt.

So ist dann der Zweifel ein hilfreicher Gefährte, der mir zeigen möchte, dass etwas noch nicht zu Ende gefühlt und gelebt und angeschaut wurde. So gesehen ist der Zweifel ein guter Wegbegleiter, wie der Saturn, und seine Schwere, welche er der Seele vermittelt, wird gebraucht, um das Verhaften an Unaufgelöstem zu spüren. 

Dem oben benannten Klienten des Heilers kann ich nur raten, auf seinen Zweifel zu hören. "Hörst du denn nicht den Trommler / der beharrlich in dir schlägt? / Er sagt dir was / und wenn er nicht mehr schlägt / ist es ein Zeichen dafür / dass sich gar nichts mehr bewegt", sang Herman van Veen.

Heute morgen, bevor ich mich an das Schreiben begab, hatte ich ein langes Gespräch mit meiner Liebsten. Wir tauschten uns aus, ich berichtete über meine gestrigen Erlebnisse. In diesem Austausch, der nicht zielgerichtet war, lag dann letztlich der Schlüssel zur Auflösung der Schwere und des Zweifels in mir. Für diesesmal. Wenn der Zweifel wieder kommt, werde ich ihn begrüßen, den treuen Gefährten.





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