Donnerstag, 10. Oktober 2013

Gehen. Schauen.



"Es finden sich Bilder in Wolken und Winke in Baumkronen." 

Sicher, der Wald ist meine zweite Heimat. Meine erste Heimat ist meine Seelenheimat, der besternte Himmel in mir, und der Wald ist meine äußere, die Heimat in der Welt. Es ist unabhängig davon, wo sich der Wald befindet, im Wald bin ich im Vertrauten. "Am Anfang war der Wald", so beginnt das Buch über "Blauvogel  - Wahlsohn der Irokesen" von Anna Jürgen. Ein Buch, das ich als Jugendlicher geliebt habe. Auch wegen des Waldes, der am Anfang war, und in dem die Menschen friedlich lebten. Bis. .  .

Manchmal läuft das Leben verschlungene Pfade, und so hat es mich für eine Zeit in die Stadt verschlagen. Zwar keine so supergroße Stadt, die Einheimischen nennen sie "Ein Dorf mit Straßenbahn", es ist Bremen; doch Wald, also äußere Heimat, ist sie nicht. 

Nun ist Wald für mich nicht einfach nur Heimat, weil er da ist. Er ist Heimat, weil ich ihn begehe. Wenn ich durch das Waldtor schreite, die Grenze der Kronentraufen überschreite und unter das Blätterdach in das diffuse Licht trete, dann bewege ich mich von dieser Welt in eine andere. Ich beginne, behutsamer zu gehen, und ich beginne, anders zu schauen. Der Blick nähert sich dem weichen Blick an, jenen unfixierendem Schauen, welches erst ermöglicht, dass die Dinge sich zeigen können.

Beides zusammen, das behutsame Gehen, das Erfühlen des weichen Bodens mit den Sohlen, und das Schauen mit dem weicheren Blick, das ist meine Meditation. Dazu kommt noch, dass die Ohren auf Raumklang eingestellt werden, dass sie in den gesamten umgebenden Raum hineinhorchen, und wie die Augen nicht fixierend tätig sind. 

So nimmt mich der Wald auf. Er kann mich aufnehmen, da ich etwas abgebe, Da ich mich hingebe. Diese Art, sich im Walde zu bewegen, habe ich mir von frühester Kindheit ab angewöhnt, war wir doch, die ganze Familie, während des Sommers fast täglich im Walde: Auf Pilzpirsch, auf Beerenjagd. 

Dass sich mit unfixierenden, weiten, weichem Blick erfolgreich Pilze finden ließen, ja, erfolgreicher als durch starrendes Absuchen des Waldbodens, das bewies mein meist sehr voller Pilzkorb. Noch heute ist es so, dass, wenn ich im Walde bin und sich der Unterwuchs unter den Bäumen verändert, zum Beispiel so ein dunkelgrünes, weiches Gras auftaucht, mein Blick sich mit verändert und ich nach den braunen Pilzhüten Ausschau halte. Das geschieht, bevor ich mir überhaupt bewusst bin, dass ich Pilze "suche".

Noch etwas anderes geschieht in diesem Gehen. Die Seele bekommt die Möglichkeit, sich zu weiten, der Körper ist beschäftigt mit einer angenehmen Tätigkeit, die Lungen bekommen harzduftende Luft, die Ohren lauschen den Klängen des Waldes, dem Summen der Insekten und den Lauten der Vögel, und die Gedanken beginnen sich zu glätten. 

So kann es denn sein, dass ich mich in den Gedanken mit etwas beschäftige, was mir schon lange auf der Seele liegt wie ein Nachtmahr, und aus diesem dunklen Gedankenkäfig mich nicht entlassen kann. Da öffnet sich im Walde die Tür, ich vermag heraus zu treten, ohne den Gedanken entlassen zu müssen. Ich vermag ihn in eine hellere Welt zu tragen und anders zu betrachten. Da tritt dann die Korrespondenz mit der Außenwelt ein, ein Eichelhäher ruft, das Moos wird weicher, in den Kronen der Buchen schimmert das schräg einfallende Licht, so dass einzelne Strahlen sichtbar werden, in denen die kleinen Insekten und Staubteilchen tanzen, ab und zu wird ein kleiner Regenbogen sichtbar, der unverhofft im Tanze aufblitzt; und dann komme ich an eine Stelle, an der ein hölzerner Waldgeist wacht und Antwort gibt. 

Wie das vonstattengeht? Ich weiß es nicht. Da ist niemand, der sagt: "Nimm den rechten Weg, oder den linken. . ." Mitten im Gehen und Schauen und Lauschen wird mir Andacht zuteil, und eine Lösung dessen, was gerade gedacht wurde. . . Und der Waldgeist lächelt verschmitzt und zwinkert mit dem Auge. 

Wie gesagt, nun gibt es in Bremen keinen Wald in diesem Sinne, und der Bürgerpark mit dem dazu gehörigen Stadtwald ist kein ernstzunehmender Ersatz. Doch gehe ich gerne am Weserufer entlang, und schaue mir Steine aus der Mauerbefestigung an. Wenn ich hier dem Blick weich werden lasse, dann schauen auch hier die Gestalten, die Gedanken glätten sich, eine Möwe ruft kickernd, und . . . 














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