Donnerstag, 24. Oktober 2013

Der kategorische Definitiv

Es gibt Worte, die können etwas benennen, obwohl da gar nichts ist. Sie werden für Erklärungen herangezogen, und wirken doch auf mich wie die Tinte des Tintenfisches auf den Fressfeind wirkt: Sie verstecken das Eigentliche. Es soll mit ihnen etwas definiert werden, und doch sind sie selbsterklärende Definitionen. 

"Synchronizität" im psychologischen Kontext ist so ein Wort. Es geschieht etwas in mir, gleichzeitig etwas Bedeutendes im Außen, dazu noch etwas einem nahestehenden Menschen, und es fühlt sich in meinem Inneren an, als hätte jemand daran "gedreht", als wäre da ein Geführtsein jenseits des Zufalles. Das wichtige an diesem Gefühl ist genau das Letztgenannte: "Jenseits des Zufalles". Wie sich "Zufall" anfühlt, das weiß ich: Als in einem merkwürdigen Moment eine mir wichtige Glasperlenkette aufging und die Glasperlen sich lustig hüpfend über das Pflaster des Bürgersteiges verbreiteten. 

Nach einem kurzem Schreckmoment sagte mir mein Gefühl: "Das hat nichts zu bedeuten, das ist ein Zufall". Es war eindeutig Zugefallenes ohne tiefere Bedeutung (es sei denn, die tiefere Bedeutung dieses Ereignisses läge darin, mich davon zu überzeugen, dass es Zufälle wirklich gibt). 

Anders war ein ähnlich gelagerter Fall (Fall im echten Wortsinne): Beim Auszug aus der ehemals gemeinsamen Wohnung meiner damaligen Freundin fiel mir mein Seelenstein auf die geflieste Schwelle, und ein Stücklein davon brach ab. Mein Seelenstein war ein kreisrunder Stein mit einer Hülle aus Flintstein, die Hülle war halbiert und legte das kreisrunde steinerne Innere frei. Lange rätselte ich daran, was für ein Stein das sei, bis ein Buch über Ostseesteine mich aufklärte: Es war ein sogenannter Klapperschwamm.

Diesen Stein trug ich seit meinem sechszehnten Lebensjahr bei mir, er war mein ständiger Begleiter und ich nannte ihn meinen Seelenstein, ein echter Talisman. Das er gerade in diesem Augenblick des Türeschließens hinter einer langjährigen Beziehung zerbrach, das hatte für mich Bedeutung. Auch, dass ich ihn kurze Zeit später erst einmal am Weserdeich verlor, doch wiederfand, dann aber ganz verlor. 

Diese Art Bedeutung fühlte ich, sie war eins mit dem, was in mir vorging. Ich brauche da nichts zu erklären, mir nicht und anderen nicht. Auch wenn manche Menschen solche Ereignisse als "Zufall" abbuchen, mir gelingt das nicht. Es war so, und so ist es mir passiert. Da jetzt den Begriff "Synchronizität" als "Erklärung" ins Spiel zu bringen, das klingt mir wie der Versuch, etwas, das außerhalb wissenschaftlicher Begrifflichkeiten stattfindet, zurück in die Halle der Wissenschaft zu ordern, die wohl so eine Art "hall of fame" ist.

Es ist etwas, was ich immer wieder erlebe: Es werden außerwissenschaftliche Ereignisse umgeformt durch Begriffe, die Wissenschaftlichkeit vortäuschen, um den eigenen Verstand zu überlisten: "Es geht doch mit dem wissenschaftlichen Weltbild überein!" Ich werde hier jetzt nicht all die Worte aufzählen, die genau diesem einen Zweck dienen. Es sind zu viele. Gerade im Bereich der Heilkunde gibt es zig solcher Wissenschaftlichkeit vortäuschende Wortgebilde. 

Ein anderer kategorischer Definitiv ist das Wort Karma. Man spricht es aus, und denkt, es hätte etwas erklärt. Ein Gefühlserleben hat einen Namen bekommen. Dass es einen ganzen Glaubensschwanz hinter sich her zieht, und dass Glauben nicht Wissen ist, das tritt häufig nicht zutage. Sicher, es ist möglich, dass ich schon einmal, vielemale, gelebt habe, und aus früheren Leben noch einiges abzutragen habe. Immer wieder hatte ich Erlebnisse und Begegnungen, die explizit auf diese Möglichkeit hinwiesen. Im Augenblick, wo so etwas eintrat, geschah es mit einer Folgerichtigkeit, dass ich keine Zweifel hatte, an etwas schon einmal Erlebten teilzuhaben.

Was tu ich damit? Ich nehme das Erlebte als gegeben an, und versuche da nichts zu interpretieren und hineinzugeheimnissen. Die eigentliche Botschaft des Erlebten erwächst aus dem unmittelbaren Gefühl. So ich es denn zulasse und keine Gedankenspiele davor stelle. Die Deutung liegt in sich selber, so wie das Wort "Karma" nur sich selbst definiert.

Doch es transportiert etwas mit, was sofort wieder die gefühlte Wahrheit "vergedanklicht". Karma setzt Reinkarnation voraus (ein nächster kategorischer Definitiv). Wo kommen sie denn alle her, die sieben Milliarden und mehr Seelen, welche mittlerweile den Planeten bevölkern? Werden welche ganz neu geboren? Wann wird eigentlich eine Seele neugeboren, und wann wandert sie? Hatten es die von uns so grausam getöteten Tiere es satt Opfer zu sein und sehnten sich danach, beim nächsten Eintritt in die Biosphäre einen menschlichen Körper zu haben? Warum sind so viele Tempelritter und Königinnen wiedergeboren und so wenig Bauern? (Eine subjektive Statistik aus eigenem Erleben). 

 Als Kind hatten wir ein Spiel, das uns ein einzelnes Wort in unendlich anmutender Aneinanderreihung sprechen ließ, als eine Art Mantra, auch wenn es ein Alltagswort wie "Küchenschrank" war. Konsequent über längere Zeit vor sich hingemurmelt verlor es nach und nach jeglichen Bedeutungsinhalt, bis nur noch eine lächerliche Worthülle übrig blieb. Genau dieses war der Ziel dieses Spieles, und wir konnten uns dann über den "Küchenschrank" als leere Worthülse mit komischen Klang kringelig lachen.

Ähnlich geht es mir, wenn ich länger über die kategorischen Definitve (von denen es weitaus mehr als die beiden hier aufgeführten gibt) nachdenke. Sie sind der Logik nicht gewachsen und verflüchtigen sich ins Lächerliche. Das tun meine Gefühlsinhalte nicht. Warum also soll ich ihnen diese Definitionen antun?



           Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort...


Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus;

und dieses heißt Hund, und jenes Haus,
und hier ist Beginn, und Ende dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör´ ich so gern.
Ihr rührt sie an: Sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.


                                                    Rainer Maria Rilke 





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