Samstag, 19. Januar 2013

Ein Garten zum Naschen, Spielen und Lernen - Dokumentation

Beim Topfen der Tomatenpflanzen

Von 2007 bis 2009 durfte ich das Schulgartenprojekt "Gärten zum Naschen, Spielen und Lernen" leiten. Das Projekt wurde von Slowfood Bremen und dem Verein "Spiellandschaft Stadt e. V". unterstützt und vom Verein "Bremen Kinder leicht gesund e. V. " über Bundesmittel finanziert.

Zweieinhalb Jahre lang konnte ich an mehreren Schulen Bremens mit Kindern im Schulgarten arbeiten und dabei ganz neue Wege gehen. Schwerpunktschulen waren die Grundschule an der Karl Lerbs Str. und die Schule am Baumschulenweg. Über dieses Projekt liegt eine Dokumentation vor, die ich hier vorstellen möchte. Sie trägt den Titel "Ein Garten zum Naschen, Spielen und Lernen" und dokumentiert die Geschehnisse in der Grundschule an der Karl Lerbs Straße. Hier die Einführung:






Ein Garten zum Naschen, Spielen und Lernen




Erzähle mir und ich vergesse.
Zeige mir und ich erinnere.
Lass es mich selber tun und ich verstehe.“

Konfuzius




Onkel Otto hatte einen Garten. So einen richtigen Schrebergarten mit Gemüsebeeten, bunten Blumen, Erdbeerbeeten und Johannisbeerbüschen. Wenn ich in den großen Ferien bei Onkel Otto war, konnte ich in seinem Garten so viele Johannisbeeren naschen, bis meine Zunge ganz pelzig war. Seinen Garten fand ich toll. Die Gemüse aus dem Garten, die Tante Hilde einmachte, zum Beispiel süßsauren Kürbis, fand ich nicht immer so toll.

Meine Großmutter hatte einen Dachboden, auf dem die selbstgesammelten Kräuter getrocknet wurden. Linden- und Weißdornblüten, Schafgarbe und anderes. Meine Großmutter machte selber Leberwurst in Gläsern und wenn ich einen kratzigen Hals und Husten hatte, gab es frischen Zwiebelsaft von rohen Zwiebeln.

Meine Eltern wohnten in der Großstadt, aber wir fuhren bei jeder Gelegenheit hinaus und sammelten Pilze und Beeren. Auch wurden jedes Jahr Kartoffeln „gestöppelt“, das heißt, auf den Kartoffelfeldern Nachlese betrieben. Zwei typische Erinnerungen an die Aromen meiner Kindheit: Der Geruch von dem brennenden Kartoffelstroh auf dem Feld, in dem die Kartoffeln gebacken wurden („Kartoffelfeuer“) und Blaubeersuppe als Vorsuppe zu den Pfannkuchen.

Wir Kinder lernten „Ernährung“ im Garten und in der Küche, weil zu Hause viel selbst geerntet und gekocht wurde. Erfahrungen, die Kindern heute sehr häufig fehlen. Kinder lernen durch Nachmachen.

Als Präambel könnten über dem Konzept für die Gärten zum Naschen, Spielen und Lernen folgende Sätze aus dem Heft „Das Auge schläft bis es der Geist mit einer Frage weckt – Krippen und Kindergärten in Reggio/Emilia“ von Gisela Hermann et al, Berlin 1984, stehen:

Wahrnehmen ist mehr als nur ein Reagieren der Augen auf Reize. Es ist ein aktiver Vorgang, in dessen Prozess sich das Kind mit all seinen Sinnen seine Umwelt aneignet, die Welt für sich persönlich neu `erschafft´. Der Einsatz aller Sinne, wie Sehen, Hören, Tasten, Riechen und Schmecken, verstärkt das Erleben, Lernen und Verstehen. Für das Kind ist das Wahrnehmen ein In-Beziehung-Setzen zwischen Gegenstand, Menschen und persönlicher Erfahrung.

Die geistigen Fähigkeiten des Kindes entwickeln sich in Wechselbeziehung zu seiner Umwelt: Das Kind ist auf die Reize und Informationen durch seine Umwelt angewiesen. Es hat die Fähigkeit, diese seiner Altersstufe entsprechend auszuwählen und umzuformen – es ist ein aktiver Lerner.“

Ziel ist es, den Kindern ohne pädagogischen Schnickschnack das zu zeigen, was sie zu Hause häufig nicht mehr sehen: Arbeiten im Gemüsegarten, Kochen, Backen, häusliche und handwerkliche Produktion.

Dazu ist es hilfreich, dass ich für die Kinder der „Gärtner von außen“ bin. Ich habe bei ihnen einen Sonderstatus, da ich kein Lehrer sondern „der Gärtner“ bin. Ich lehre den Kindern sinngemäß das, was ich selber als geborenes Stadtkind in meiner Gärtnerlehre und auf den Lehrhöfen, auf denen ich arbeitete, erfahren durfte, und das, was ich mir in der Küche selbst angeeignet habe.

Düngen mit Federn
Während es mir im Garten wichtig ist, bestimmte Dinge „professionell“ zu machen (schließlich sind wir eine Schülerfirma!), z. B. das Schneiden auf Ertrag der Obstgehölze; kommt es mir in der Küche darauf an, „wie zu Hause“ zu kochen. Abgesehen von unseren „Essperimenten“ (Wie die achtjährige Helen unsere Versuche wie z. B. die Herstellung von Nuss-Nougat-Creme nannte) nahm ich das auf, was bekannt war: Tomatensaucen, Kürbisbrot etc. Wichtig ist, dass immer etwas aus dem Garten in den Gerichten auftaucht (abgesehen von der unerlässlichen Weihnachtsbäckerei).

Ein „Garten zum Naschen, Spielen und Lernen“ ist keine neue Form eines Schulgartens, sondern eine Form der Projektarbeit in einem Schulgarten mit dem Ziel, den Kindern die gesamte Spannbreite der Nahrungsmittelproduktion erfahrbar zu machen. Von der Urproduktion im Garten zu der Verwertung in der Küche und als Schülerfirma, bis hin zu Exkursionen in handwerklich arbeitende Betriebe (wozu das eingenommene Geld aus der Schülerfirma genutzt wird).

Die Kinder sind schnell zu begeistern für die Arbeiten, besonders, wenn sie „echtes“ Werkzeug benutzen dürfen (d. h. Werkzeug für Erwachsene). Ein Hit war das Schärfen der Rosenscheren. Die Rosenscheren sind wohl noch nie so gut gepflegt worden, wie von den Kindern.


Dazu eine Begebenheit: Lasse, der Pressesprecher unserer Garten-Schülerfirma sagte ganz spontan, als er den Konfuzius-Spruch „Erzähle mir und ich vergesse.Zeige mir und ich erinnere.

Lass es mich selber tun und ich verstehe.“ in dieser Mappe las: "Ja, das tun wir!"


Der Garten 

 

Foto: Adrian Hauffe (1-A-Schulgärtnerei)
Der vorhandene Schulgarten wurde weitergeführt, Beet- und Wegstrukturen weitestgehend belassen. Die Beete wurden mit Steinen und/oder Buchsbaum eingefasst. Die Steine setzten die Kinder selber.

Es erfolgt möglichst der Anbau von mehreren Obst- und Gemüsesorten einer Art, um vergleichende Geschmacksstudien betreiben zu können (siehe Kartoffeltest).

Es werden alte erhaltenswerte Sorten mit regionalem Bezug integriert und weitervermehrt (z. B. der Bremer Scheerkohl).

Es werden möglichst Namenssorten verwendet. Dadurch ist es möglich, bei den Kindern besonders beliebte Sorten weiterhin zu verwenden. Als besonderer „Renner“ erwies sich die Kartoffelsorte „Blauer Schwede“. Sie bekam bei den Verköstigungen das meiste Lob, auch von den Lehrerinnen.

Die Kinder machen selbst! Es kommt nicht auf Perfektion an. Sie bekommen eine genaue Anleitung der anfallenden Arbeiten. Dann tut man gut daran, einfach einmal wegzuschauen. Die Pflanzen sind meist stoischer im Hinnehmen, als erwachsene Ungeduld. Kinder fragen schon, wenn sie nicht mehr weiterwissen.


Der Kinderkochklub


Es gibt Regentage, an denen man lieber im Trockenen sitzt. Es gibt den Winter, wo nicht viel im Garten zu tun ist. Dann ist die ganze Gartenklasse am Verarbeiten der Ernte. Kartoffelchips waren der große Renner (siehe Rezept), Orangenmarmelade mit Rosmarin (aus dem Schulgarten) wurde als Weihnachtsgeschenk „in Großproduktion“ hergestellt. Aber nicht allen Kindern macht das regelmäßige Kochen Spaß. Deshalb wird Dienstags ein Kinderkochklub als AG angeboten, dessen Finanzierung dankenswerterweise die VHS Bremen Süd übernommen hat. 
 
Im Kinderkochklub finden sich die Kinder wieder, die Spaß am Kochen haben. Da er einmal die Woche stattfindet, sind die Kinder mit der Zeit ziemlich fit in der Küche. Die Kochklubkinder übernehmen bei Veranstaltungen die Anleitung der anderen Kinder, wenn es um die Zubereitung von Essbaren geht. 

 
In der Regel werden Gerichte und Backwaren zubereitet, die einen unmittelbaren Bezug zu der Lebenswelt der Kinder haben. So stellen wir zur Freimarktzeit auch schon einmal Berliner her. Ziel ist es nicht, die Kinder zu kleinen Köchen heranzuziehen. „Alltagstauglichkeit“ ist das Stichwort. Es wird aber immer ein Bezug zu den Produkten aus dem Garten bei den Rezepten gewählt. Selbst die Berliner waren mit Birnen-Holunder-Marmelade gefüllt, und die verarbeiteten Holunderbeeren kamen aus dem Schulgarten.

Eingespielt hat sich, dass immer frisches Gemüse, vor allen Möhren, zur Verfügung steht, welches in Arbeitspausen geputzt, geschnibbelt und geknabbert werden kann. Im Sommer wird Kräutertee (Melisse/Minze) aus dem Garten getrunken.

Die Schülerfirma


Der Verkaufsstand auf dem Schulfest
Häusliche Produktion ist das eine, das andere ist, Verständnis zu wecken dafür, wie Lebensmittel entstehen und verkauft werden. Dem Handwerk, auch dem Lebensmittelhandwerk, fehlt häufig der Nachwuchs. Um Einblick darin zu gewähren, wie ein Betrieb funktioniert, wurde aus der Gartenklasse eine Schülerfirma. Den Namen „1-A-Schulgärtnerei“ gaben sich die Kinder selber. Zum einen begann die Klasse als „1 A“, zum anderen bedeutet 1 A „wirklich Klasse!“. Die Kinder waren sich über die Doppeldeutigkeit des Namens sehr bewusst und sind stolz auf ihre Namensfindung.

An einem verregneten Gartentag wurden in der Klasse die Funktionen der Kinder besprochen. Für bestimmte Aufgaben wurden jeweils eine Verantwortliche/ein Verantwortlicher und jeweils ein Stellvertreter/Stellvertreterin gewählt. Bei diesem Prozess war sehr erstaunlich, wie gut die Kinder ihre Stärken und Schwächen einschätzen konnten.

Jedes Kind hatte schließlich eine Funktion oder eine Stellvertretung in der Schülerfirma: Kassenwart, Pressesprecher, Verantwortlicher für die Pflanzenanzucht usw. Produkte, die angeboten werden sind Jungpflanzen (Tomaten, Kräuter etc.), Kräuterbunde, selbstgeerntetes Saatgut vom Bremer Scherkohl (womit zum Erhalt dieser fast vergessenen Gemüseart beigetragen wird) und Marmeladen und Kräutergelees. Letztere dürfen wir verkaufen, da die Lehrküche der Karl-Lerbs-Schule regelmäßig vom Gesundheitsamt kontrolliert wird.






 


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