Ein
Buch ist ein Garten in der Tasche, heißt es. Jetzt in der
Winterzeit, wo draußen der Garten ruht, komme ich dazu, diesen
Taschengarten häufiger zu besuchen. In meinem Bücherregal steht
Liebgewonnenes, was jedes Jahr wieder gerne zur Hand genommen wird,
um darin zu blättern, da stehen die Fundstücke von Flohmärkten und
der Nachlese nach dem Flohmarkt, wenn die Händler nicht Verkauftes,
was sie nicht mehr mit nach hause nehmen wollen einfach zurück
lassen, die Müllabfuhr wird’s schon richten. In diesen
„Nachlässen“ finde ich dann die Rahmen für die Aktion
Findekunst, da habe ich die Zeichnung mit den Apfelblüten gefunden,
welche mich auf die Spur meines Avalon brachte, und auch das eine
oder andere Buch. Diese sind mir oft die Liebsten. Sie sind oft
Geschenke, welche zur rechten Zeit am rechten Ort waren. Über diese
Geschenke und Fundstücke möchte ich das eine oder andere Mal hier
berichten.
Dass
auf diese Weise nicht unbedingt ein Kompendium der Neuheiten zu
Stande kommt, liegt auf der Hand. So werden in Dingefinders
Büchergarten denn auch die Werke vorgestellt, die mir gefallen, die
ich empfehlen möchte. Im Zeitalter des Internet ist fast jedes Buch
antiquarisch zu erhalten. Manchmal braucht es da einer Anregung, um
zu wissen, wonach geschaut werden sollte. Es werden hier Bücher
vorgestellt, die ich den Leserinnen und Lesern ans Herz legen möchte.
Eines
meiner Fundstücke ist das 1914 erschienene schmale Büchlein von R.
H. Francé (Raoul Heinrich Francé 1847 - 1943), Spaziergänge durch
den Hausgarten. Francé ist der Verfasser etlicher
populärwissenschaftlicher Werke, viele davon zu Themen des Gartens
und der Natur. Das mag daran liegen, dass er 1898 stellvertretender
Leiter des Institutes für Pflanzenschutz der Landwirtschaftlichen
Akademie in Ungarisch-Altenburg wurde, wo er erste naturphilosophische
Werke schrieb. Darauffolgend gründete er in München die Deutsche
Mikrobiologische Gesellschaft und deren Institut. Was wenige wissen,
ist, dass er als Entdecker des Edaphons gilt, des für die
Bodenfruchtbarkeit so wichtigen Bodenlebens- 1922 veröffnete er
darüber das Kosmos-Bändchen „Das Leben im Ackerboden“. Er ist
damit einer der Väter des biologischen Landbaues.
Ich
habe ein Faible für diese alten Natur-und-Garten-Bücher (und zu
meinem Glück kann ich die alte Schrift fließend lesen), die sich
Zeit lassen beim Erzählen, und wo immer wieder diese akribischen
Kupferstiche eingestreut sind. Da lässt sich in Gedanken wandern
beim Lesen, oder, wie in diesem Falle spazieren gehen. Das geht
gemütlich und wortreich zu und klingt dann zum Beispiel so: „Der
wilde Wein an der Mauer erscheint gleichsam bewacht von den
hellgrünen und aufwärts gekrümmten „Lotten“, die aus dem
Spalier hervorlangen, Sproß um Sproß von oben nach unten. Macht man
sich das Vergnügen, unter einem solchen Sproß ein Blatt weißes
Papier so anzubringen, daß der Sproß in seiner Bewegung nicht
behindert ist, und zeichnet man darauf seine Stellung, etwa sein
Schattenbild, auf, so wird man schon nach kaum einigen Minuten
entdecken, daß das Schattenbild in ganz anderer Weise verändert
hat, als es dem Gang der Sonne entspricht. Der Sproß vollführt
nicht nur eine Nutation, eine kreisende Bewegung wie das Treibende
der Kapuzinerkresse, sondern steigt auch höher. Nach einigen Stunden
senkt er sich; er tastet gleichsam die Luft oben und unten ab nach
neuen Anhaltspunkten.“
In
dieser akribischen Sprache werden die im Alltag so oft übersehenen
Entdeckungen geschildert, die im Garten dem staunenden Auge harren.
Ein Augenöffnerbuch. Eigentlich wünsche ich mir solche
beobachtenden Spaziergänge in Garten und Natur als begleitendes
Element für den Biologieunterricht an den Schulen. Ich bemerke
beispielsweise auf meinen Kräuterwanderungen mit Kindern, dass sie
durchaus zugänglich sind für solcherlei Entdeckungen, ja, sogar
einen Riesenspaß daran haben, wenn sich jemand die Zeit nimmt, ihnen
diese nahe zu bringen.
Damit
wäre ich bei dem zweiten von mir heute empfohlenen Werk, es heißt Botanische Exkursionen, ist geschrieben von Berthold Haller und
Gottfried Probst und erschienen im Gustav Fischer Verlag. Passend zur
Jahreszeit wählte ich für heute den Band 2: „Exkursionen im
Winterhalbjahr“. Darin blättere ich jetzt, um Geist und Auge
vorzubereiten auf das, was auf winterlichen Spaziergängen zu
entdecken ist. Ein vorbereitendes Lesen sozusagen. Ich lese es nicht
von vorne nach hinten durch, sondern durchstreife dieses Buch wie
eine Landschaft und bleibe bei dem hängen, was mich gerade
interessiert. Mal sind es die Abhandlungen über Moose, dann wieder
über Pilze, welche meine Aufmerksamkeit bindet, oder gerade im
Moment, die Auflistung der verschiedenen Zapfen der Koniferen, welche
jetzt zu finden sind. Welcher gehört zu welchem Baum? Daraus lässt
sich bestimmt ein weiteres spannendes Dingefinderrätsel stricken,
und die Antworten stehen in diesem Büchlein. Mithin kein Garten in
der Tasche sondern ein echtes Taschenbuch, welches auf den
winterlichen Wanderungen dort nicht fehlen sollte.
Das
dritte Buch, welches ich den Leserinnen und Lesern im heutigen
Büchergarten ans Herz legen möchte, hat den Titel Aufschlüsse,
darunter steht „Kalkstein, Feuerstein, Schiefer. Drei Versuche zur
Geologie“. Geschrieben wurde es von Jürgen Dahl. Der im Oktober
2001 verstorbene Schriftsteller Jürgen Dahl schuf mit seinen
„Nachrichten aus dem Garten“, „Neuen Nachrichten aus dem
Garten“ und mehreren anderen einige der schönsten Gartenbücher
überhaupt. Dankenswerterweise hat der Manufaktum-Verlag diese wieder
neu heraus gebracht. In dem 1977 im Verlag Langewiesche-Brandt
herausgegebenen kleinen Werk „Aufschlüsse“ behandelt Jürgen Dahl
die oben genannten Gesteinsarten auf ähnlich akkurate Weise. Da ist
profundes Wissen mit naturphilosophischen Gedanken vermischt, das
alles in Jürgen Dahls unnachahmlicher Sprache: „Unter besonders
günstigen Bedingungen hat im Schiefer auch das flüchtigste
überdauert, das man sich denken kann: die Spur von Regentropfen
(wenn der Regen auf einen nicht mehr von Wasser bedeckten
Schlammboden fiel) oder das zarte Flachrelief der Oberfläche,
vergängliche und gleich wieder vergehende Rippelmarken, der Schatten
gleichsam, den die Bewegung des Wassers auf die Oberfläche des
Schlammes wirft und der vom nächsten Schatten wieder ausgelöscht
wird - oder eben festgebannt bleibt, wenn der Schlamm dannach
austrocknet“.
Auch
dieses kleine Buch eröffnet neue Blickwinkel und neue Sicht auf das,
was uns umgibt. In diesem Falle auf unsere mineralisch Mitwelt. Die
Gesteine beginnen zu leben und Gestalt anzunehmen und sie beginnen
durch Jürgen Dahl ihre Geschichten zu erzählen. Dafür bin ich ihm
sehr dankbar.
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