Mittwoch, 16. Januar 2013

Aus Dingefinders Büchergarten

Ein Buch ist ein Garten in der Tasche, heißt es. Jetzt in der Winterzeit, wo draußen der Garten ruht, komme ich dazu, diesen Taschengarten häufiger zu besuchen. In meinem Bücherregal steht Liebgewonnenes, was jedes Jahr wieder gerne zur Hand genommen wird, um darin zu blättern, da stehen die Fundstücke von Flohmärkten und der Nachlese nach dem Flohmarkt, wenn die Händler nicht Verkauftes, was sie nicht mehr mit nach hause nehmen wollen einfach zurück lassen, die Müllabfuhr wird’s schon richten. In diesen „Nachlässen“ finde ich dann die Rahmen für die Aktion Findekunst, da habe ich die Zeichnung mit den Apfelblüten gefunden, welche mich auf die Spur meines Avalon brachte, und auch das eine oder andere Buch. Diese sind mir oft die Liebsten. Sie sind oft Geschenke, welche zur rechten Zeit am rechten Ort waren. Über diese Geschenke und Fundstücke möchte ich das eine oder andere Mal hier berichten.

Dass auf diese Weise nicht unbedingt ein Kompendium der Neuheiten zu Stande kommt, liegt auf der Hand. So werden in Dingefinders Büchergarten denn auch die Werke vorgestellt, die mir gefallen, die ich empfehlen möchte. Im Zeitalter des Internet ist fast jedes Buch antiquarisch zu erhalten. Manchmal braucht es da einer Anregung, um zu wissen, wonach geschaut werden sollte. Es werden hier Bücher vorgestellt, die ich den Leserinnen und Lesern ans Herz legen möchte.

Eines meiner Fundstücke ist das 1914 erschienene schmale Büchlein von R. H. Francé (Raoul Heinrich Francé 1847 - 1943), Spaziergänge durch den Hausgarten. Francé ist der Verfasser etlicher populärwissenschaftlicher Werke, viele davon zu Themen des Gartens und der Natur. Das mag daran liegen, dass er 1898 stellvertretender Leiter des Institutes für Pflanzenschutz der Landwirtschaftlichen Akademie in Ungarisch-Altenburg wurde, wo er erste naturphilosophische Werke schrieb. Darauffolgend gründete er in München die Deutsche Mikrobiologische Gesellschaft und deren Institut. Was wenige wissen, ist, dass er als Entdecker des Edaphons gilt, des für die Bodenfruchtbarkeit so wichtigen Bodenlebens- 1922 veröffnete er darüber das Kosmos-Bändchen „Das Leben im Ackerboden“. Er ist damit einer der Väter des biologischen Landbaues.

Ich habe ein Faible für diese alten Natur-und-Garten-Bücher (und zu meinem Glück kann ich die alte Schrift fließend lesen), die sich Zeit lassen beim Erzählen, und wo immer wieder diese akribischen Kupferstiche eingestreut sind. Da lässt sich in Gedanken wandern beim Lesen, oder, wie in diesem Falle spazieren gehen. Das geht gemütlich und wortreich zu und klingt dann zum Beispiel so: „Der wilde Wein an der Mauer erscheint gleichsam bewacht von den hellgrünen und aufwärts gekrümmten „Lotten“, die aus dem Spalier hervorlangen, Sproß um Sproß von oben nach unten. Macht man sich das Vergnügen, unter einem solchen Sproß ein Blatt weißes Papier so anzubringen, daß der Sproß in seiner Bewegung nicht behindert ist, und zeichnet man darauf seine Stellung, etwa sein Schattenbild, auf, so wird man schon nach kaum einigen Minuten entdecken, daß das Schattenbild in ganz anderer Weise verändert hat, als es dem Gang der Sonne entspricht. Der Sproß vollführt nicht nur eine Nutation, eine kreisende Bewegung wie das Treibende der Kapuzinerkresse, sondern steigt auch höher. Nach einigen Stunden senkt er sich; er tastet gleichsam die Luft oben und unten ab nach neuen Anhaltspunkten.“

In dieser akribischen Sprache werden die im Alltag so oft übersehenen Entdeckungen geschildert, die im Garten dem staunenden Auge harren. Ein Augenöffnerbuch. Eigentlich wünsche ich mir solche beobachtenden Spaziergänge in Garten und Natur als begleitendes Element für den Biologieunterricht an den Schulen. Ich bemerke beispielsweise auf meinen Kräuterwanderungen mit Kindern, dass sie durchaus zugänglich sind für solcherlei Entdeckungen, ja, sogar einen Riesenspaß daran haben, wenn sich jemand die Zeit nimmt, ihnen diese nahe zu bringen.

Damit wäre ich bei dem zweiten von mir heute empfohlenen Werk, es heißt Botanische Exkursionen, ist geschrieben von Berthold Haller und Gottfried Probst und erschienen im Gustav Fischer Verlag. Passend zur Jahreszeit wählte ich für heute den Band 2: „Exkursionen im Winterhalbjahr“. Darin blättere ich jetzt, um Geist und Auge vorzubereiten auf das, was auf winterlichen Spaziergängen zu entdecken ist. Ein vorbereitendes Lesen sozusagen. Ich lese es nicht von vorne nach hinten durch, sondern durchstreife dieses Buch wie eine Landschaft und bleibe bei dem hängen, was mich gerade interessiert. Mal sind es die Abhandlungen über Moose, dann wieder über Pilze, welche meine Aufmerksamkeit bindet, oder gerade im Moment, die Auflistung der verschiedenen Zapfen der Koniferen, welche jetzt zu finden sind. Welcher gehört zu welchem Baum? Daraus lässt sich bestimmt ein weiteres spannendes Dingefinderrätsel stricken, und die Antworten stehen in diesem Büchlein. Mithin kein Garten in der Tasche sondern ein echtes Taschenbuch, welches auf den winterlichen Wanderungen dort nicht fehlen sollte.

Das dritte Buch, welches ich den Leserinnen und Lesern im heutigen Büchergarten ans Herz legen möchte, hat den Titel Aufschlüsse, darunter steht „Kalkstein, Feuerstein, Schiefer. Drei Versuche zur Geologie“. Geschrieben wurde es von Jürgen Dahl. Der im Oktober 2001 verstorbene Schriftsteller Jürgen Dahl schuf mit seinen „Nachrichten aus dem Garten“, „Neuen Nachrichten aus dem Garten“ und mehreren anderen einige der schönsten Gartenbücher überhaupt. Dankenswerterweise hat der Manufaktum-Verlag diese wieder neu heraus gebracht. In dem 1977 im Verlag Langewiesche-Brandt herausgegebenen kleinen Werk „Aufschlüsse“ behandelt Jürgen Dahl die oben genannten Gesteinsarten auf ähnlich akkurate Weise. Da ist profundes Wissen mit naturphilosophischen Gedanken vermischt, das alles in Jürgen Dahls unnachahmlicher Sprache: „Unter besonders günstigen Bedingungen hat im Schiefer auch das flüchtigste überdauert, das man sich denken kann: die Spur von Regentropfen (wenn der Regen auf einen nicht mehr von Wasser bedeckten Schlammboden fiel) oder das zarte Flachrelief der Oberfläche, vergängliche und gleich wieder vergehende Rippelmarken, der Schatten gleichsam, den die Bewegung des Wassers auf die Oberfläche des Schlammes wirft und der vom nächsten Schatten wieder ausgelöscht wird - oder eben festgebannt bleibt, wenn der Schlamm dannach austrocknet“.

Auch dieses kleine Buch eröffnet neue Blickwinkel und neue Sicht auf das, was uns umgibt. In diesem Falle auf unsere mineralisch Mitwelt. Die Gesteine beginnen zu leben und Gestalt anzunehmen und sie beginnen durch Jürgen Dahl ihre Geschichten zu erzählen. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.



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