Mittwoch, 4. Januar 2012

Dichter


Ich bin Dichter. Nicht Naturwissenschaftler, nicht Gelehrter, Germanist, Journalist, Literat. Ich bin Dichter. So obliegt es mir, Geschichten und Gedichte zu schreiben, nur mir selbst und der Göttin der Dichter, Heiler, Kaufleute, Wanderer, Gauner verpflichtet: Mercuria. Mercuria ist eine Frau, ihre Geschlechtsumwandlung in Merkur hat sie nur unzulänglich kaschiert, immer noch ist Mercuria in den Darstellungen hermaphroditisch, ist sowohl als auch. Bei mir ist sie nicht auch, sondern ganz Frau. Eine der Inkarnationen der dreigestaltigen Göttin, gleichzeitig Trickstergöttin und Muse der schamanischen Dichter, welche die Heilgesänge für die Gemeinschaft übermittelt bekommen.

Ich bin Dichter. Daher brauche ich keine Rücksichten auf irgendwelche Wahrheiten wissenschaftlicher Art zu nehmen. Ich schreibe keine Doktorarbeiten, keine Romane, keine Reportagen, ich dichte Geschichten. Es ist unwesentlich, ob sie geglaubt werden, ja, ob sie glaubhaft sind. Es sind Geschichten, und damit Punktum.

Ich stehe als Dichter in einer ehrwürdigen Tradition. Wir Sängerinnen und Sänger, Geschichtenerzähler, Tänzerinnen, Gaukler, sind da, solange es Sprache gibt. Sprache gibt es, solange es Menschen gibt. Uns gibt es von Anbeginn der Menschheit. Wir sind das Gefäß für die alten Sagen und Geschichten, und wir sind das Gefäß für das Neue, was da kommen mag. Alles fließt durch uns hindurch, wird von uns erspürt, vernommen, ergießt sich in unser Bewusstsein. Uns ist die Gabe geboten, diese in Geschichten, Lieder und Gedichte zu formen. Sie aussagekräftig zu machen. Mancher unserer Traditionen sind keinen Tag alt. Gerade daher stehen wir im altehrwürdigen Strom der Botschaften, die von den Ahnen kommen. Wir erahnen. Uns obliegt es, das Alte und das Neue in Bilder zu formen und diese mittels Rhythmus und Klang in die Seelen zu senden.

Sprache ist Magie. Sie ist das Medium, mit dem wir mit unserer Mitwelt in Kontakt treten. Die Worte und Klänge, die Geschichten und Gesänge sollen uns von den Luftgeistern, den Elfen, gegeben worden sein. Sie sind uns gegeben, um uns mitzuteilen. Mithin, um zu teilen.



 
 Dieser Text ist entnommen aus meinem Heft 
"Aus dem kleinen roten Wunderwanderbuch"











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