Sonntag, 17. Februar 2013

Aus Dingefinders unergründlicher Plaudertasche oder: Lebenslänglich

Es verhaftet Sie die Bundesrepublik Deutschland wegen vorsätzlicher Unterqualifizierung und damit verbundener Arbeitslosengeld  - Erschleichung. Das Urteil wird gesprochen: Lernen lebenslang.

Das lebenslange Lernen wird überall propagiert als das non plus ultra um aus der Arbeitslosigkeit zu kommen. Als wäre der Mensch nicht ein Wesen, welches so oder so lebenslang lernt. Ein Gärtner oder ein anderer Handwerker, der etwas von seinem Handwerk versteht und es liebt, lernt immer etwas dazu, nie ist eine Pflanze wie die andere oder ein Werkstück.Mit jedem Arbeitsjahr wird solch ein Mensch reifer. Doch das ist hier nicht gemeint. Gemeint ist hier zum Beispiel, wenn ich mit meinem gelernten Handwerk (etwa als Tischler) keinen "Job" (!) mehr bekomme, dann muss ich halt umlernen, im zweifelsfalle umschulen. Das wird mir als sogenannte Qualifizierungsmaßnahme vermittelt. Wenn ich mich nicht "qualifiziere" drohen mir Konsequenzen, zum Beispiel Geldkürzungen.

Die sogenannte Qualifizierung von Arbeitslosen, besonders von Langzeitarbeitslosen, ist mittlerweile eine Branche (Zyniker sprechen von "Industrie") geworden, in der viele Menschen arbeiten (sehr oft als Honorarkräfte). Weder die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Maßnahmen noch die BetreiberInnen (welche nur davon leben) tauchen in den Arbeitslosenstatistiken auf. Das heißt, je rigider Maßnahmen ausgeschrieben und durchgeführt werden, um so niedriger die Arbeitslosenquote. Im Bremer Umland gibt es einen niedersächsischen Landkreis, da wird sehr zügig gehandelt, und ehe sie sich versehen, können Arbeitslose als In-Jobber (auch bekannt als 1-€-Kräfte) Transformatorenspulen drehen. Als Qualifizierung?

Ich selber hatte einmal an den Unfug mit der Qualifizierung von Langzeitslosen geglaubt. Das war Anfang der neunziger, als ich eine Arbeitsstelle als Ausbilder in einer Weiterbildungsmaßnahme für Menschen aus dem gärtnerischen Bereich antrat. Ich glaubte wirklich, dass ich dort fachliches Wissen vermitteln sollte, welches den Menschen nutzt. Irgendwann kam eine Delegation des Arbeitsamtes (so hieß das damals noch) in unsere Maßnahme, schaute sich alles an, was wir so trieben (wir arbeiteten vordringlich im Schulgartenbereich) sagten "schön, schön", und nachdem die Tür des Sitzungszimmers geschlossen war wurde Tacheles geredet: Entweder ihr bringt 30 % der Leute aus der Statistik, egal wie, oder ihr müsst euch einen anderen Job suchen.

Sylvia Christina Händel: Blickdicht (Ausschnitt)
Es wäre sicher möglich gewesen, Leute aus der Statistik zu bringen, wenn wir alle Richtlinien und Möglichkeiten, die uns zur Verfügung standen konsequent angewendet hätten. Was dann mit den Menschen passiert wäre, war nicht unser Bier. Ich (und die anderen der Maßnahmeleitung auch) fühlten uns aber (und hier muss dieses kräftige Wort eingesetzt werden) verarscht. Wir hatten ein gutes Bildungsprogramm mit Herzblut aufgelegt, wir stützten die Leute, haben viele wieder zu Selbstbewusstsein ("Ich kann ja doch was!") verholfen, unsere Arbeit war sinnvoll, denn einige Schulen hätten ohne uns keinen Schulgarten. Doch wir brachten die Leute nicht "aus der Statstik". Zum einen, da es im gärtnerischen Bereich sowieso keine Jobs gab, zum anderen, weil da viele Menschen bei uns waren, die aufgrund seelischer Instabilität dem Druck des ersten Arbeitsmarktes gar nicht gewachsen waren. Die den geschützten Rahmen, den wir für sie aufbauten, brauchten, um am Arbeitsleben teilzuhaben.

Warum nicht lässt man diese Menschen arbeiten, mit dem was sie können? Warum müssen alle Menschen für einen teilweise unerbittlichen (siehe Niedriglohndebatte) "ersten" Arbeitsmarkt "qualifiziert" werden? Warum gibt es für so viele Menschen nicht die Arbeit, die ihnen entspricht? (Während hier in Bremen die Parks verlottern, Schulgärten verwildern, Kinder keine Betreuung haben). Warum dürfen sie nicht so arbeiten, wie sie können und wollen? Sie werden doch so oder so vom Staate bezahlt.

Es gibt so viel zu fragen. Zu einem Ergebnis ist hier nicht zu kommen. Mein "Warum" wird wohl immer eine Kinderfrage bleiben, von jemanden, der die Welt nicht versteht. So richtig ist diese Art der Weltbetrachtung für mich aber auch nicht zu verstehen. . .
Doch ich lerne noch. Ein Leben lang. . .


"Blickdicht" (Ausschnitt) von Sylvia Christina Händel entstammt ihrem Album "Arbeiten 2011"
mit freundlicher Genehmigung: 

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