lila und weiß |
Der Wunsch nach Ratgebung im Leben ist oft sehr groß. Gerne dann, wenn die persönliche Lage unüberschaubar scheint, und die Seele nach Klarheit dürstet. Gerne werden dann oft eines der vielen Kartensets gewählt, Tarot-, Elfen-, Engelkarten, oder was es sonst noch auf dem so unüberschaubaren Markt gibt.
Die Karte
wird gezogen, betrachtet, die Worte aus dem dazu gelieferten Beibuch gelesen,
die Deutungen in Gedanken gewendet. So kommen Zeichen und Deutungen in die
Gedankenwelt der Seele, im Innenraum wurde wieder eine Beschäftigung gefunden,
von der Undurchdringlichkeit der Lage abzulenken.
Ich stelle
mir hier jetzt nicht die Frage, wie so etwas funktioniert, auch nicht der Frage
nach der Berechtigung solcher Art Tuns. Das überlasse ich gerne den Wissenden,
ich spüre da keine Resonanz in mir. Nur manchmal beschleicht mich das Gefühl,
dass es so nicht ganz „richtig“ ist. Dass der Wunsch nach vorschneller Klärung,
welcher die Karte ziehen lässt, vorherrscht.
Als junger
Mann wollte ich mir einen Schallplattenspieler kaufen, das war der mir größte
Wunsch in der materiellen Welt. Fünfhundert Deutsche Mark sollte das von mir
favorisierte Gerät kosten, eine große Summe für einen gerade ausgelernten
Gärtner, der wenig Geld verdiente. So ging ich denn zur Sparkasse und bat um
Kredit, schließlich hatte ich ja eine feste Anstellung. Dort wurde mein
Ersuchen mangels Sicherheiten abgelehnt. Mein nächster Weg führte mich in das
Lohnbüro der großen Gärtnerei, in der ich arbeitete, mit dem Wunsch um einen
Vorschuss in genannter Höhe.
Die Dame im
Lohnbüro machte mir unmissverständlich klar, dass ich doch wohl in
althergebrachter Weise mir das Geld zusammen sparen könne, ich müsse mich nur
etwas gedulden mit der Erfüllung meines Wunsches, das hätte ihre Generation
schon immer so gemacht. Kurz: Lohnvorschuss gab es nicht, dafür weise
Ratschläge.
Heute, wo mir
an jeder Ecke Kredite angeboten werden, mit oder ohne Schufa, das Geld wird
sozusagen nachgetragen, erscheint das Gebaren der Sparkasse vor 35 Jahren wie
ein Märchen aus einer anderen Zeit. Heute hätte ich mir unter den gleichen
persönlichen Voraussetzungen den Schallplattenspieler sofort nehmen können, und
noch einen Flachbildschirm und eine Kreuzfahrt dazu. So gewohnt, für eigentlich zukünftige Dinge sofort Kredit zu erhalten, so wird oft gewünscht, es sei auch mit den Seelenentscheidungen so.
Nun befinde
ich mich gerade in der Lage, dass meine Lebenssituation einmal wieder
beginnt, sich tiefgreifend zu wenden. Zu gern hätte ich gewusst, was mich auf meiner
zukünftigen Lebensreise erwartet, ja, wohin überhaupt ich mich wenden solle. Zu
widersprüchlich die verschiedenen Impulse in mir, zu verwirrend die Situation,
als dass sich mir ein schlüssiges Gesamtbild zeigen würde.
Die Karten
sagen dazu dies, das I-Ging jenes, alles klug und entsprechend und mit so
vielen Wahrworten gespickt, dass ich nur staunen mag. Doch gibt es Situationen,
in denen jedes weitere Wort die Verwirrung nur vergrößert, so klug und weise es
auch sein mag. Es ist in etwa in Entsprechung mit unserer gegenwärtigen
Weltlage, wo uns so vieles umtreibt, und wo der Wunsch bei vielen Menschen groß
ist, käme doch der wissende Führer, die integre Partei mit den integren
Menschen, das Glaubenssystem und die entsprechende kluge Philosophie, die
göttliche Eingebung und die Heerscharen der Engel, und alle Verstrickung würde
sich lösen und die Welt wieder ein für alle Menschen guter Ort.
Doch kaum
sagt einer etwas Kluges, sagt eine etwas Wegweisendes, sei es zur Lage der
Nahrungsmittelversorgung, sei es zur Politik und dem Beenden aller Kriege und
Krisen, schon kommt mit Sicherheit das Gegenwort, und schon ist das, was sich
eben noch so schlüssig anhörte wieder von einem undefinierbaren Schleier
überzogen. In den Diskussionsforen im Internet allseits zu beobachten.
Niemand
stellt sich da die Frage, ob es schon an der Zeit sei, Genaues zu
formulieren, ob es nicht besser sei, noch zu schauen und sein Tagewerk im Alltag
zu begehen. „Mir ward noch kein Zeichen“, Laotse konnte das noch hin schreiben.
Für viele von uns heute fast unerträglich. Ein Leben ohne Lösung scheint ein
Leben ohne Erlösung zu sein. Auch nur temporär kaum zu ertragen.
Heute am Morgen nun
führte mich mein erster Weg in den Garten, zu der großblumigen Clematis. Hinein
gerankt in diese blühende Schönheit hatte sich ein wucherndes Unkraut, eine
Zaunwinde, welche beim Jäten übersehen war. Und so durfte ich als erstes an diesem Morgen eine lila
Clematisblüte Seite an Seite mit der reinen weißen Blüte der Winde erblicken.
Wie schön und harmonisch sich hier das kultivierte und das wilde Wachsen
aneinander zeigten. Oh, allerhand war da zu erblicken: Es war wie Yin und Yang,
wie die Vereinigung der Gegensätze, welche nur zu diesem Beisammensein kommen
konnten, weil ich längere Zeit nicht an dieser Stelle des Gartens tätig war.
Dieses Bild floss ungehindert in meine Seele und breitet sich dort nun für den
Tag aus. Nein, ich mag es nicht deuten, doch webt es in mir.
„Mir ward
noch kein Zeichen“, schrieb Laotse, doch schrieb er auch dieses: „Ich aber
halte es wert, die Nahrung zu suchen bei der Großen Mutter.“ Heute möchten die
Zwiebeln im Garten geerntet werden und die Kartoffeln. Das mag zwar keine
Lösung für die drängenden Fragen in meiner Seele sein, doch es ist an der Zeit.
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