Donnerstag, 11. Oktober 2012

Deutungen: Indianerseele




Wie sollte ein Mensch mit Mitgefühl an dieser Welt nicht leiden?
In welcher Enklave sich aufhalten, um all das Geschehen nicht zu erspüren?

Sicher, es gibt Orte jenseits des Leides, wohl dem, der sie aufzusuchen vermag.
Dort lässt sich die Kraft schöpfen, um weiterhin zu tragen.

Doch schon das Benennen öffnet die Türen dem Zwiespalt.
Ein Wort verlieren kann bedeuten, den Ort verlieren.

Wie wundersam sich zwischen all den schrillen Farben der werbenden Plakate
das sanfte Bunt des Herbstlaubes ausmacht.

Und wenn dieses geläuterte späte Licht der Sonne darauf scheint,
wie warm kann es um das Herz werden!

Dann kommen die Erinnerungen eines schon einmal Dagewesenen,
ganz unvermittelt, und unversehens beugt sich das Haupt vor der Schönheit.

Wie sollte ein Mensch mit Mitgefühl an dieser Welt nicht leiden?
In welcher Enklave sich aufhalten, um all das Geschehen nicht zu erspüren?


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Eher denn Gärtner bin ich Sammler, vielleicht auch Jäger (was das Angeln betrifft), und eine gute Freundin meinte einmal, ich hätte eine Indianerseele (und nicht nur sie, diesen Satz hörte ich mehrmals in meinem Leben). Sei es, wie es sei, doch vielleicht ein Hinweis auf mein unzeitgemäßes Sein, auf mein Leiden an der Welt, wie sie sich heute darstellt.

Nicht viele aus meinem Freundeskreis teilen diese Passionen, vor allen das stundenlange Einsammeln dieser kleinen runden Dinger, den Beeren, gar noch gebückt, wie bei den Waldblaubeeren, das stößt auf Unverständnis.

Ich selber bin dann ganz Wahrnehmung, bin auf eine Art eins mit mir selber, ruhe in meiner alturalten Indianerseele, bin auf geheimnisvolle Art auch eins mit der Umgebung, und manchmal begegne ich auch den seltsamen Seelenwesen der Landschaft, des Waldes, spürbar sind sie dann um mich, und eine bestimmte Art Helligkeit liegt über allen, und das innere Geplapper der Gedanken verebbt, und es beginnt eine innere Zwiesprache.


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 Als mein Sohn zweieinhalb Jahre alt war, er konnte sich schon ganz gut verbal verständigen (und sich mit Hühnern unterhalten, aber das ist eine andere Geschichte), kamen wir auf dem morgendlichen Gang in die Krabbelgruppe auf dem Weg durch einen Park an einem gefällten Baum vorbei, einer ehmals mächtigen Weide. Diese fiel übrigens nicht einem Pilzbefall oder einem anderen Übel zum Opfer, welches eine Fällung aus Gefährdungsgründen notwenig machte, sondern dem Renommee eines Landschaftsarchitekten, welcher merkte, dass dieser Baum seine "Sichtachsen" bei der Neugestaltung der Anlage störe.

Mein Sohn also sah diesen gefällten Riesen am Boden, und sein Antlitz wurde unendlich traurig, und er fragte mich: "Warum?". Ich konnte ihm nur antworten, dass ich keine Antwort wüsste, und traurig gingen wir weiter.

(Zu den Hühnergesprächen: Wir waren mit der Krabbelgruppe auf einem Pferdehof, wo sich auch ein umzäuntes Hühnergehege befand. Als ich meinen Sohn vermisste und suchte, fand ich ihn sitzend vor dem Zaun des Geheges, die Hühner auf der anderen Seite. Ich schaute zu: Es war sichtlich etwas im Gange, und eine wundersame Atmosphäre über allem. Die Hühner waren meinem Sohn sichtlich zugewandt. "Ich spreche mit ihnen", war seine Antwort auf meine Frage, was er da tue. "Und, was sagen sie?". "Sie wollen da raus.".

Ich bin heute noch davon überzeugt, dass da ein echtes Gespräch stattgefunden hat, wie auch immer.)



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 "Sie (die Seminolen, ein nordamerikanischer Indianerstamm) scheinen frei von Wünschen und Begehren zu sein. Kein grausamer Feind zum Fürchten; nichts, das ihnen Beunruhigung bereiten könnte, außer den allmählich zunehmenden Übergriffen der Weißen. Solcherart sich behauptend und ungestört, erscheinen sie munter und frei wie die Vögel in der Luft, und wie diese fröhlich und tatendurstig, harmonisch und lärmend. Der Anblick, die Bewegungen und das Verhalten der Seminolen stellen das meist beeindruckende Bild von Glücklichsein in diesem Leben dar; Vergnügen, Lebenssinn, Liebe und Freundschaft, ohne Tücke oder Erregungszustände, scheinen ihnen angeboren oder in ihrer lebendigen Geisteshaltung vorherrschend zu sein, denn sie verlassen sie erst mit dem letzten Atemzug."

William Bertram, 1739 - 1823, "Reisen durch Nord- und Süd-Carolina, Georgia, Ost- und West-Florida, das Cherokee Land etc.."


Was wäre gewesen wenn ich als "Indianerseele" dort geboren wäre und nicht hier und jetzt? Was hätte mein Sohn dort an Empfindungsreichtum, der ihm innewohnte behalten können? Müßig wohl zu fragen.


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Schon bald durfte mein Sohn erkennen, dass die Welt anders ist, dass nicht alle Wesen ihm wohlgesonnen sind. Ich weiß noch, wie erstaunt und erschrocken er war, als das erste Mal ein Hund nach ihm schnappte, dem er so vertrauensvoll entgegen ging. Später dann musste er lernen, dass auch Menschen "schnappen" können. Er lernte, sich in diese Welt, so wie sie ist, einzupassen. Doch noch heute blitzt bei ihm manchmal eine Trauer auf, ähnlich der, die er wohl empfand, als er des gefällten Baumes ansichtig wurde.

Doch in seiner frühen Unbefangenheit im Umgang mit der Welt hatte er mich zu folgendem Gedicht inspiriert:

Dingefinderkinder sind die wilden Kleinen,
die mit großen Augen staunend durch die Welt spazieren.
Verzückt und ganz mit sich im Reinen
können sie sich in große Kleinigkeiten ganz verlieren.

Dann stehen sie, als wären sie auf einem anderen Planeten,
eine wundersame feengleiche Aura umgibt die Gegenwart.
Still verharrend, wie in ungesprochenen Gebeten,
staunen sie über einen bunten Kiesel auf dem Pfad.

Manchmal, wenn du den Dingefinderkindern nahe bist,
wirst du mit einbezogen in ihr zeitloses Gewahrsein.
Du tauchst in ihre Welt ein, die so anders ist,
nimmst Teil an ihrem seelenvollen Dasein.

Dann glänzt auch dir in jedem Kiesel eine ganze Welt,
ein ganzes Weltall gar, ein Orbit ohne Worte.
Es ist, als ob ein großer Engel dich in seinen Händen hält,
der dich vertraut mit einbezieht in unbekannte Orte.

Da springt in diese Anderswelt ein Kaninchen querfeldein.
Von einem Augenblick zum andern vergisst das Kind den Kieselstein,
und dann geht’s sturzbeglückt und lachend dem Kaninchen hinterdrein.
Wie aus einem Traume aufgewacht, stimmst du in dieses Lachen ein.


2 Kommentare:

  1. bewahre das kind in deinem inneren- das sollte jeder versuchen. dann wäre die welt eine bessere, oder?

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  2. Manchmal muss man das Kind auch schützen. Meines ist gerne draußen in Natur und Garten. Also habe ich dafür Sorge zu tragen, dass es dort hin kann. . . Tu ich aber gerne.

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