Du
folgst deinem Namen, und du folgst einer Spur
Mein Name Jörg ist eine Eindeutschung des griechischen Georg. Der
Georg also ist im Jörg versteckt. Nun sind es nicht die Deutungen
des Namens in verschiedenen Sichten, die mich veranlassen, auf den
Georg zu schauen. Ich habe auch der Versuchung widerstanden, „Georg“
zu googeln. Es ist ja so ein Einfaches, „Bescheid zu wissen“
heutzutage.
Zwei
mir sehr wichtige Georgs sind mir in meinem Leben begegnet. Beides
sind Buchgestalten, welche ein Stück Seele wurden. Oder, anders,
welche sich mit meiner Seele verbanden, oder, noch anders, welche in
meiner Seele den dort schlummernden Georg erweckten.
Der
eine Georg ist der Georg Ruster, der Blauvogel,
welcher in Anna Jürgens gleichnamigen Buch im Jahre 1755 zu Zeiten
des Krieges der Engländer und Franzosen um den nordamerikanischen
Kontinent von den Irokesen als Neunjähriger erst gefangen und dann
an Sohnes statt angenommen wird. Eine meiner Schwestern schenkte es
mir, ich glaub, ich war zwölf Jahre alt da, und ich las es und ich
fand mich darin wieder. Ich habe dieses Buch oft gelesen und ich lese
immer noch gerne darin.
Der
zweite Georg suchte mich Mitte der achtziger heim, als ich mit
Freunden einen Gärtnerhof zur Selbstversorgung betrieb. Es war der
George Sherban aus Doris Lessings Roman Shikasta.
Ralf
hatte das Buch auf den Hof gebracht und uns alle genötigt, es zu
lesen. „Woher die nur das alles weiß“, waren seine Worte, und er
wollte mit uns über sein Erleben mit dem Buch sprechen und daher
mussten wir, und auch ich, es lesen. Selten tauchte ich so ganz in
ein so dickes Buch ein, selten las ein so mächtiges Werk in einem
Stück, selten klang ein Buch so lange in meiner Seele nach.
Doch
erst einmal zum Blauvogel, zum Kinde Georg. Noch später, als ich
nach einem Dichternamen für mich suchte, da mir mein eigener doch zu
prosaisch für meine so romantische Natur erschien, nannte ich mich
eine Zeit L´oiseau. „Der Vogel“.
Der
Wald war von Anfang an da.
Das ist der erste Satz dieses Buches. Und dieser Satz hat sich in
meiner Seele festgesetzt, ist bei mir zu „Im Anfang war der Wald“
geworden, fühlte ich mich doch im Walde ganz und heimisch, war der
Wald doch meine Zuflucht in Kindertagen. Er
entstand mit der Erde lange vor dem Menschen.
In
jenen uralten Zeiten wollte einmal der große Geist eine Wanderung
durch die Welt machen, um sein Werk zu prüfen. Er sandte einen
weißen Vogel aus, der von der Himmelsquelle Wassertropfen über die
Erde versprühte. Überall, wo die Tropfen niederfiele, entstanden
Bäche und Flüsse, die den Wald durchzogen wie die Adern ein
Ahornblatt.
Sätze,
welche in mir lange nach hallten, welche mich in innere Resonanz
brachten, welche mich meine Indianerseele entdecken ließen. Im Buch
wird dann beschrieben, wie Georg von Indianern gefangen und von einer
Irokesengroßfamilie als Sohn adoptiert wird. Das Einfinden in diese
so andere Welt wird einfühlsam und anschaulich beschrieben, tiefer
und tiefer wird der gefundene Sohn im Dorf Fruchtbare
Erde
heimisch. Zuerst widerstrebend verwandelt sich Georg in Blauvogel.
Später, nach langen Jahren bei seinen Zieheltern, als er wieder in
die Welt der Weißen zurückgeführt wird, hält er es dort nicht
lange aus und kehrt flüchtend zu seinen Wahleltern zurück. Du
sollst auch gut schlafen, mein Junge. Du bist ja wieder zu Hause. Das
sind die letzten beiden Sätze des Werkes. Ich weiß, das ich
jedesmal weinte, wenn ich bei diesen Sätzen angelangt war.
Ungezählte
Sommer und Winter zogen über den Wald dahin. Die wenigen Indianer,
die in ihm lebten, störten sein Dasein nicht, und die Tiere gehörten
zu ihm wie die Blätter zu den Bäumen.
- Die anderen Seiten 76 -
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