Dienstag, 5. November 2013

Georg

Du folgst deinem Namen, und du folgst einer Spur

Mein Name Jörg ist eine Eindeutschung des griechischen Georg. Der Georg also ist im Jörg versteckt. Nun sind es nicht die Deutungen des Namens in verschiedenen Sichten, die mich veranlassen, auf den Georg zu schauen. Ich habe auch der Versuchung widerstanden, „Georg“ zu googeln. Es ist ja so ein Einfaches, „Bescheid zu wissen“ heutzutage.

Zwei mir sehr wichtige Georgs sind mir in meinem Leben begegnet. Beides sind Buchgestalten, welche ein Stück Seele wurden. Oder, anders, welche sich mit meiner Seele verbanden, oder, noch anders, welche in meiner Seele den dort schlummernden Georg erweckten.

Der eine Georg ist der Georg Ruster, der Blauvogel, welcher in Anna Jürgens gleichnamigen Buch im Jahre 1755 zu Zeiten des Krieges der Engländer und Franzosen um den nordamerikanischen Kontinent von den Irokesen als Neunjähriger erst gefangen und dann an Sohnes statt angenommen wird. Eine meiner Schwestern schenkte es mir, ich glaub, ich war zwölf Jahre alt da, und ich las es und ich fand mich darin wieder. Ich habe dieses Buch oft gelesen und ich lese immer noch gerne darin.

Der zweite Georg suchte mich Mitte der achtziger heim, als ich mit Freunden einen Gärtnerhof zur Selbstversorgung betrieb. Es war der George Sherban aus Doris Lessings Roman Shikasta. Ralf hatte das Buch auf den Hof gebracht und uns alle genötigt, es zu lesen. „Woher die nur das alles weiß“, waren seine Worte, und er wollte mit uns über sein Erleben mit dem Buch sprechen und daher mussten wir, und auch ich, es lesen. Selten tauchte ich so ganz in ein so dickes Buch ein, selten las ein so mächtiges Werk in einem Stück, selten klang ein Buch so lange in meiner Seele nach.

Doch erst einmal zum Blauvogel, zum Kinde Georg. Noch später, als ich nach einem Dichternamen für mich suchte, da mir mein eigener doch zu prosaisch für meine so romantische Natur erschien, nannte ich mich eine Zeit L´oiseau. „Der Vogel“.

Der Wald war von Anfang an da. Das ist der erste Satz dieses Buches. Und dieser Satz hat sich in meiner Seele festgesetzt, ist bei mir zu „Im Anfang war der Wald“ geworden, fühlte ich mich doch im Walde ganz und heimisch, war der Wald doch meine Zuflucht in Kindertagen. Er entstand mit der Erde lange vor dem Menschen.

In jenen uralten Zeiten wollte einmal der große Geist eine Wanderung durch die Welt machen, um sein Werk zu prüfen. Er sandte einen weißen Vogel aus, der von der Himmelsquelle Wassertropfen über die Erde versprühte. Überall, wo die Tropfen niederfiele, entstanden Bäche und Flüsse, die den Wald durchzogen wie die Adern ein Ahornblatt.

Sätze, welche in mir lange nach hallten, welche mich in innere Resonanz brachten, welche mich meine Indianerseele entdecken ließen. Im Buch wird dann beschrieben, wie Georg von Indianern gefangen und von einer Irokesengroßfamilie als Sohn adoptiert wird. Das Einfinden in diese so andere Welt wird einfühlsam und anschaulich beschrieben, tiefer und tiefer wird der gefundene Sohn im Dorf Fruchtbare Erde heimisch. Zuerst widerstrebend verwandelt sich Georg in Blauvogel. Später, nach langen Jahren bei seinen Zieheltern, als er wieder in die Welt der Weißen zurückgeführt wird, hält er es dort nicht lange aus und kehrt flüchtend zu seinen Wahleltern zurück. Du sollst auch gut schlafen, mein Junge. Du bist ja wieder zu Hause. Das sind die letzten beiden Sätze des Werkes. Ich weiß, das ich jedesmal weinte, wenn ich bei diesen Sätzen angelangt war.

Ungezählte Sommer und Winter zogen über den Wald dahin. Die wenigen Indianer, die in ihm lebten, störten sein Dasein nicht, und die Tiere gehörten zu ihm wie die Blätter zu den Bäumen.




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