Donnerstag, 16. Februar 2012

Mond erleben

Mondrhythmen


Die Erde ist zwar keine Scheibe, und sie ist ein unbedeutender Planet am Rande des Universums, aber andererseits ist sie auch der Mittelpunkt von allem, und Sonne, Mond und Sterne drehen sich nur um sie. Und ich bin der Mittelpunkt der Erde, der Betrachter des Himmels und des Mondes und der Sterne, und alles dreht sich um mich. Frau Mond ist auch ein Wandelstern. Ich freue mich, dass sie so gut zu betrachten ist. Selbst hier, in Meinem Avalon, wo die Nächte durch die nahe Stadt niemals wirklich dunkel werden, und die Sterne häufig kaum sichtbar sind, selbst hier lächelt sie mir zu, wenn der Himmel unbedeckt ist.
Ich habe mir einen Kalender erstellt, in dem die Mondphasen vermerkt sind. Die Vollmonde, die Neumonde, die Viertelmonde. „Viertelmond“ ist mein Terminus für Halbmond. Ich wählte ihn, oder er wählte mich, um mich immer an die vier Mondphasen zu erinnern. Dieser Kalender richtet sich nach dem, was beobachtbar ist, und er ist ein Mondkalender. Unser moderner Kalender ist ein Sonnenkalender, er orientiert sich an dem Sonnenjahr. Außerdem hat er merkwürdig verschobene Rhythmen: So beginnt bei ihm das neue Jahr am Ende der Rauhnächte. Sicherlich ist hier ein Fest wie Silvester sicherlich berechtigt, und auch das Reinigen durch Böllerei, das Böse-Geister-Vertreiben, hat hier einen guten Zeitpunkt gefunden, so wie das Gute-Vorsätze-Machen. Nur ist dieses Datum kein Jahresanfang. Das Keltische Jahr beginnt am ersten November, es gibt auch Überlieferungen, dass das Jahr zum Frühjahrsbeginn anfängt, zur Frühjahrs-Tag-und-Nachtgleiche. Dann gibt es noch das Mondjahr, welches mit dem Vollmond vor dem ersten November beginnt. Der erste Januar ist da recht willkürlich gewählt.

Um es gleich vorweg zu sagen: Mein Sonnenjahr beginnt mit dem Frühlingsbeginn, mein Mondenjahr mit dem Vollmond vor Allerheiligen und das Ende der Rauhnächte begehe ich in der Sylvesternacht. So hat das für mich seine Richtigkeit.

Der Mond lebt und webt nicht nur in einem Rhythmus, er hat seine Rhythmen. Diese sind geeignet, jeden Kalender schon zu Beginn seiner Aufzeichnung obsolet werden zu lassen. Es ist kein Ticktack-Takt der Uhr, welcher sich da am Himmel abspielt. Wenn es in Zahlen aufgeschrieben wird, sind das alles krumme Zahlen. Sogar der herkömmliche Sonnenkalender spiegelt diesen Sachverhalt, indem alle vier Jahre ein Tag im Februar hinzugefügt wird.

Das heißt, auch mein Kalendarium ist alles andere als ein korrektes Kompendium stetig wiederkehrender Geschehnisse in einem Kreislauf. Zum einen läuft in unserem Sonnensystem alles in einer Spiralbahn, da sich die Sonne selbst bewegt, zum anderen sind die Konstellationen so vielfältig, dass keine jemals einer vorangegangenen gleich ist. Es ist schließlich auch kein Blatt an einem Baume dem anderen gleich, und keine noch so kleine Welle im Ozean gleicht einer anderen. Schließlich kommt es noch darauf an, wann, wie und warum ich in den Himmel schaue. Das wissen auch schon die Physiker, dass der Betrachter Teil des Experimentes ist.

Die Planeten, und damit auch der Mond, bewegen sich entlang der Sonnenbahn. Dort sind sie beobachtbar. Sie bewegen sich entgegen dem Uhrzeigersinn, sind aber manchmal rückläufig, dann bewegen sie sich mit der Uhr. Im Hintergrund der Bewegungen sind die fixierten Sterne, die Fixsterne. Zur leichteren Orientierung sind sie in Sternbildern zusammengefasst, den Tierkreisbildern. Diese sind verschieden groß, es sind zwölf, nach anderer Lesart dreizehn, an denen die Wandelsterne vorüberziehen.

Für das Sonnenjahr mit seinen zwölf Monaten ist der Kreis dieser Bewegung in zwölf Regionen unterteilt, von jeweils 30 Grad, die jeweils einem Tierkreisbild entsprechen.
Das Himmelszelt als Ganzes dreht sich täglich von Ost nach West in Uhrzeigerrichtung komplett um seine Achse, dem Nordstern. Die Sonne macht ihre Wanderung durch den gesamten Tierkreis in annähernd 365 Tagen. Genauer: 365,242 Tage. Der sonnennächste Planet, Merkur, braucht für diese Reise ca. 88 Tage, Venus 225 Tage. diese beiden sehen wir als Morgen- oder Abendstern immer in der Nähe der Sonne. Zusammen mit dem Mond, bilden diese drei die sogenannten untersonnigen Planeten, das heißt, ihre Laufbahn findet sich unterhalb der Sonnenlaufbahn. Die weiteren Planeten sind Mars, der fast zwei Jahre für einen Umlauf benötigt, Jupiter mit annähernd zwölf Jahren und Saturn mit fast dreißig Jahren. Diese drei bewegen sich oberhalb der Sonnenbahn, sie werden daher obersonnige Planeten genannt. Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn sind zudem zuweilen rückläufig. Auch dieses drückt sich in bestimmten Rhythmen aus.

Der Mond wandert durch den Tierkreis in 27,32 Tagen. Das sind 27 Tage, 7 Stunden und vier Minuten. In einem Sonnenjahr durchmisst er das Firmament 13, 139 mal. So hat das Sonnenjahr dreizehn Mondjahre. Daher gibt es auch Berechnungen, die mit dreizehn Sternbildern rechnen. Dieser Mondumlauf ist der siderische Umlauf.

Der Rhythmus der Mondphasen ist abweichend von der siderischen Mondreise. Von Vollmond zu Vollmond vergehen 29,531Tage. Bei Vollmond steht der Mond in Opposition zur Sonne, und diese hat sich in den Reisetagen des Mondes auch weiter bewegt. So habe ich annähernd alle 7,38 Tage eine neue Mondphase: Vollmond, abnehmender Viertelmond, Neumond, zunehmender Viertelmond. Es gibt Sonnenjahre, in denen erscheint dreizehn mal der Vollmond am Nachthimmel.

Der abnehmende Mond schaut nach links, der zunehmende nach rechts. So ist das in der Region, die ich hier und jetzt bewohne. In dem annähernd halben Jahr, in dem ich auf Teneriffa weilte, war die Mondsichel eine längere Zeit eine nach oben geöffnete Schale. Besonders schön war das, als sich zwei Planeten glitzernd dazu gesellten und sich im kurzem Abstand über der geöffneten Schale platzierten. Wir saßen lange Nächte, vom Orangenblütenduft umweht, und konnten uns an diesem Schauspiel nicht satt sehen.

Die Sonne steigt von der Wintersonnenwende an mit jedem Tag höher an den Scheitelpunkt ihrer Laufbahn, um ab der Sommersonnenwende wieder eine täglich flachere Bahn einzunehmen. Diese Bewegung tätigen auch die Planeten und der Mond. Es gibt den absteigenden und den aufsteigenden Mond. Schließlich gibt es noch den Drachenschwanz und den Drachenkopf. Wenn der Mond die Sonnenbahn nach oben durchschreitet, spricht man von ersterem, wenn er die Bahn nach unten hin kreuzt, von letzterem. Dieser Zyklus beträgt 27,212 Tage. Auch ist der Mond, da er nicht in einer Kreisbahn, sondern in einer elliptischen Bahn um die Erde kreist, der Erde mal näher, mal ferner. Es sind immerhin ungefähr 40000 km Unterschied von der nahesten zur fernsten Stellung. Dieser Rhythmus beträgt ca. 27,555 Tage.

Die einzelnen Rhythmen sind nur ungefähr gleich, sie divergieren. Dadurch gibt es allein beim Mond so viele Möglichkeiten und Zyklen, dass es dort keinmal den gleichen Mond am Himmel zu sehen gibt. Die Rhythmen sind so bunt wie das Leben selbst. Sie spiegeln das Leben. Anhand dieser Zyklen lassen sich keine Quantitäten, wie bei der Uhr, messen, es sind Qualitäten, die hier ihren Ausdruck finden. Diese Qualitäten lassen sich nicht wiederholen. Anders als in der Naturwissenschaft gibt es hier keine wiederholbaren Experimente. So ist denn auch Misstrauen allen schematischen Aussagen angebracht. Es ist nicht wie bei einer zu plumpen Astrologie: Du bist Löwe oder Fisch, dann bist du soundso und passt mit dem oder mit der zusammen, und in naher Zukunft wird dir dieses und jenes begegnen. So hätten es viele Menschen gerne. Eine Astrologie, die wie eine exakte Wissenschaft funktioniert, und bei Kopfschmerz hilft ganz sicher Aspirin.

Sicher, es lassen sich auch Qualitäten benennen, und auch der Mond findet sich immer wieder am Abendhimmel. Es macht einen großen Unterschied, ob ich um den Zeitpunkt der Frühjahrstagundnachtgleiche oder in den Hundstagen geboren wurde. Ich beginne mehr und mehr damit, mich darauf zu verlassen, dass ich die Qualitätsrhythmen nicht nur errechne, sondern auch erspüre. Ich lasse mich ein. Oft hilft mir dabei noch der Blick auf den Kalender, in dem ich die mir wichtigen Mondphasen eingetragen habe, es ist aber immer häufiger ein bestätigender Blick.

Gerne schaue ich mir an, was sich am Himmel abspielt, was ich beobachten kann. Ob der Mond weit oben steht oder tief hängt, in welcher Phase er sich befindet, wo ich ihn finde, welche Farbe er hat, ob er einen Hof hat. Manchen Morgen sehe ich beide, Sonne und Mond am Himmel in trauter Eintracht, an einem Morgen wanderte ich zwischen den beiden einher, und in mir webte das Bewusstsein, selber auf einem wandelnden Stern zu leben, selber ein Teil dieses wandelnden Sternes zu sein, so groß die Welt! - so fühlte ich und mir wurde leicht ums Herz. Ein kleines einzelliges Wesen reichte, welches sich teilen konnte, immerdar teilen. War dieser eine Keim gegeben, egal was sonst war, so vermehrte er sich unaufhörlich, expotenziell, sich teilend, sich teilend, die Teile sich teilend, sich verändernd, sich einstellend, anpassend an Möglichkeiten, sich teilend, sich teilend, die Teile sich teilend, sich verbindend, sich zusammenfügend mit anderen, sich teilend, sich anpassend, sich verändernd, sich umgestalten, Metamorphose, welche die Umwelt mitriss, die Mitwelt zur eigenen Welt gestaltete, die eigene Welt, die wieder formte, formte und teilte, immer neue Gestalten gebar, ergrünte, jagte, Männlein und Weiblein gebar, sich teilte und teilte. . .
Letztendlich kommt der Baum, unter welchem ich wandle aus der gleichen Zelle wie ich selber, aus der gleichen Zelle wie der Eichelhäher, der die Samen verteilt und den Wald hütet, wie das Pilzgeflecht, das hektarweit unterirdisch die Wurzeln verbindet. . .

Das alles erfuhr ich in einer Unmittelbarkeit jenseits des Intellekts, derweil ich meiner Wege ging, die Kugelgestalt der Erde, der Mutter Erde erspürend, während über mir die Sonne und der zunehmende Viertelmond standen. Das sind die Wanderungen, auf denen ich der Innenseite der Welt ganz nah bin, und ganz nah bei den Ahnen, deren Blut in mir webt, deren Wissen in mir lebt, unteilbar mit-geteilt.

Einmal auch, noch wesentlich länger her, als die Kinder eines Freundes bei einem Brand umgekommen waren, am Ende einer Zeit, wir zu vielen in einem Bauernhause wohnend, Lydia, oder war es Bea, hatte im I-Ging „Verfinsterung des Lichtes“ gelegt. Es war das Jahr der Todesfälle im Freundeskreis, und der Tod der beiden Kinder bildete den dunklen Abschluss. Ein Schmerz eilte durch meinen Körper und meine Seele, dem ich keinen Namen geben konnte. Am Abend dann zog es mich fort vom Hof, ich ging wie von einem Sog gezogen querfeldein, über die Moorweiden. Der Mond ging tieforange dunkel groß und drohend über dem Erlengehölz auf. Er stieg auf, kaum kleiner werdend, und ich hielt inne, mitten auf der Moorweide. Leichter Bodennebel war da, kaum wahrnehmbar, nur ein Hauch. Im Innehalten setzte ich mich auf die Knie und schaute den aufsteigenden Mond an, der immer noch orange flammte, mit leicht vom Dunst verwaschenen Rändern. In dem Augenblick, in dem aus meinem Munde ein hoher klarer vibrierender nicht enden wollender Ton kam, schob sich der Schatten der Sonne vor den Mond, und die angekündigte Mondfinsternis begann. Wie ein Wolf heulte ich mit lautschrillem aber klarem Ton dem verdunkeltem Monde zu, der schließlich nur noch schmutzigorangener Halo um eine dunkle Scheibe war. Es war fühlbar dunkel um mich herum, und mein Ton endete schließlich und verlor sich ohne Echo in der Dunkelheit. Dennoch hallte er in meinem Inneren nach, es fühlte sich an wie nach einem heftigem Schreck, ich zitterte leicht. Als der Mond, gereinigt, wieder aus dem Schatten der Sonne auftauchte, stand ich auf und ging zurück auf den Hof. So nahm das dunkle Jahr für mich ein Ende. Zum Segen aller wurde ich trotz großer Trauer handlungsfähig. Es war ein spontanes Ritual, das ich so niemals hätte planen können und wollen.




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