Am Anfang war der Wald
Mein Avalon, die aus dem Nebel
zurückgekehrte Insel, und die Autobahn: Zwei von Menschenhand
geschaffene Gebilde in ein und derselben Landschaft. Der Autobahn zu
verdanken ist der Waller Feldmarksee, ein Baggersee, aus dem Sand für
die Aufschüttung des Autobahndammes gewonnen wurde. Dieser See ist
gefällig, und ich habe diesen Sommer einige Male darin gebadet.
Wenn
heute die Autobahn aus der Nutzung genommen würde, aus welchen Gründen
auch immer, begänne auf der Stelle eine Sukzession, welche nur durch das
stetige menschliche Eingreifen unterbrochen wird. Zuerst am Rand- und
Mittelstreifen würde Buschwerk entstehen, Brombeeren und Holunder würden
sich ansiedeln, die ersten Birken- und Erlensamen würden anfliegen und
keimen. Nach und nach würde der Bewuchs höher, Eschen und Ahorne
dazukommen, deren Wurzeln nach und nach den Belag der Straße unterhöhlen
und durch den Wurzeldruck darin erste Risse entstehen lassen.
Schließlich würde in unseren Breiten dort wieder Wald entstehen. Es
braucht dazu nur eine gewisse Unberührtheit und Zeit.
Was würde
mit meinem Avalon geschehen? Wenn heute dieser Garten aus der Nutzung
genommen würde, aus welchen Gründen auch immer, begänne auf der Stelle
eine Sukzession, welche nur durch das stetige menschliche Eingreifen
unterbrochen wird. Im Gemüsegarten würden als erstes einjährige
Pflanzen das Regiment übernehmen, Disteln, Vogelmiere, Franzosenkraut.
Sie sind die erste Sukzessionsstufe, und es sind viele Bodenheilkräuter
unter ihnen, wie zum Beispiel die Kamille, welche den Boden für die
nächste Pflanzendecke vorbereiten.
Die mehrjährigen Stauden
würden folgen, Giersch und Brennessel, Ackerwinde und
Ackerschachtelhalm, Huflattich und Quecke. Sie würden den Boden mit
ihrem Wurzelwerk durchqueren, bis er fast nur noch Wurzelmasse ist, und
sie würden, wie zum Beispiel die Brennessel, die reichhaltigen
Stickstoffverbindungen im Boden, die unerwünschten Stoffe verarbeiten.
Dann kämen die Brombeeren und der Holunder, und. . . Siehe oben.
Der
Garten und die Autobahn, sie tun mit der Landschaft beide das Gleiche:
Sie verhindern die Entstehung von Wald. Am Anfang war der Wald, er kam
nach der Eiszeit hierher, schickte Hasel und Birken voraus, später dann
Eichen und Buchen. Die Menschen, welche als erste hier siedelten,
konnten mit dem Wald gut leben. Sie ernteten die Nüsse und Samen,
lernten es, die Eicheln zu entbittern, siedelten schließlich auf den
Geesthügeln rund um die Marsch, da das Land fruchtbar genug war, um
Siedler zu ernähren. Im Weserdelta waren die teilweise
undurchdringlichen Auwälder, waren die durch stete Überflutung
entstandenen Marschwiesen. Tausende Wasservögel lärmten hier und Fische
gab es im Überfluss.
Erst später kamen Siedler von weiter her,
welche nicht mit dieser Landschaft verwurzelt waren, und die den
Ackerbau und die Viehzucht mitbrachten. Für ihre Lebensweise mit dem
Feldbau von Getreide war der Wald ein Hindernis. Auch waren sie
kriegerisch gestimmt, sie verdrängten die ursprüngliche Bevölkerung, und
es wurden immer mehr. Schließlich besiedelten sie auch die von der
Urbevölkerung zum Wohnen gemiedenen Gebiete, die Marschen. Dabei lernten
sie auch, die kultivierten Wiesen und Äcker einzudeichen.
Ob
mein Avalon oder ob Autobahn, wir sind hier die Nachfahren des
Eroberervolkes, welches mit dem Wald nichts anderes anfangen konnte, als
ihn abzuholzen. Es brauchte ungeheure Mengen Holz als Brennmaterial,
zum Brennen von Ziegeln, zum Verhütten von Erzen, es brauchte Holz als
Baumaterial, zum Beispiel, um mit großen hölzernen Schiffen auf den
Meeren zu expandieren.
Uns heutigen kommt der Waller
Feldmarschsee und seine Umgebung mit Baum- und Buschbeständen, Kanälen
und Gräben, Weiden und Wiesen, wie Natur vor. Im Vergleich zu den
innerstädtischen Gebieten, welche von Stein, Zement und Beton dominiert
werden, ist das sicherlich richtig. Nichtsdestotrotz ist es eine
ausgeklügelte Kulturlandschaft, die es in dieser Form ohne menschliches
Zutun nicht gäbe. Hamme und Wümme, die beiden Flüsse, welche die
Landschaft zur Weser hin durchziehen, würden sie regelmäßig
überschwemmen, wenn die Deiche nicht wären, und sie würden nichts
anderes dulden als Auwälder und Überschwemmungswiesen.
Die
Ökotope „Autobahn“ und „Garten Avalon“ sind ohne den Menschen ohne
Bestand. Es liegt in unserer Hand, in unserem Ermessen, welche Gestalt
die Welt hat, in der wir wohnen. Wir bestimmen durch unsere Nutzung die
Form der uns umgebenden Landschaft. Der gesamte Kleingartenpark in der
Waller Marsch mit seinen vielen kleinen Inseln und Traumgestaden ist ein
vorübergehendes Gebilde. Schon werden erste Parzellen nicht mehr
besiedelt, werden Schreberhäuschen und Wilhelm-Kaisen-Häuser abgerissen.
Die Wilhelm-Kaisen-Häuser sind eine Bremer Besonderheit. Der damalige
Bremer Bürgermeister Kaisen genehmigte ob der großen Wohnungsnot nach
dem Krieg das Wohnen in Behelfshäusern in den Kleingartengebieten. Diese
Häuser werden jetzt nach und nach abgerissen, sobald die Altbewohner
ausgezogen oder verstorben sind. Es soll niemand in den
Parzellengebieten wohnen. Eine Verschärfung der Auflagen für neue
Stromanschlüsse gibt es darüber hinaus. Wenn auf einer Parzelle ein
Neuanschluss benötigt wird, dann kostet dieser dreitausend Euro. Er ist
mithin teurer als Gartenhäuschen, Bepflanzung und Gewächshaus zusammen.
Dieser
Kleingartenpark liegt günstig. Für etwaige Industrieansiedlungen. Da
sind die Autobahn und die Eisenbahn, da ist die nahe Mülldeponie, da ist
ein vorhandenes Stromnetz. Wenn eines Tages Erweiterungsland für
Industrie benötigt wird, dann ist es ein Leichtes, dieses Gelände
umzuwidmen. Wenn dort keine Menschen fest wohnen. Die Siedler, die
wollen, bekommen dann irgendwo anders Ausgleichsflächen, und ruckzuck
sind die Trauminseln, Gemüseäcker und Gartenzwergidyllen nur noch
Erinnerungen. Der Vorsitzende des Vereins, unter dessen Fittichen mein
Avalon ist, nimmt die Sache gelassen: Die nächsten zwanzig Jahre wird
das nichts, und dann bin ich nicht mehr. Vorsichtshalber will er sich
trotzdem in den Bauausschuss wählen lassen.
Im Anfang war der
Wald. Mit seinen Pflanzen und Tieren, mit den Menschen, die sich dem
Leben im Walde angepasst hatten. Wenn die Menschen, die den Wald
verschwinden ließen, selber verschwinden, wird der Wald wieder sein.
Wenn die Menschen bleiben, liegt es mit an ihnen, was sein wird. Nun bin
auch ich Mensch. Also liegt es auch an mir, was sein wird. Ich habe
mich für mein Avalon entschieden.
"Ein gutes Leben leben" - das könnte mein Motto sein. Ich berichte hier von meinem Leben als Dichter, Dingefinder und Gärtner im schönen Töpferdorf Fredelsloh von Garten, Topf und Magen und von der Kunst, den Alltag alltäglich zu genießen. Das geschieht auch immer mal wieder in Reimform. Manchmal lasse ich auch andere life durch Lesungen und Kräuterwanderungen an meinen Erfahrungen teilhaben. Viel Spaß auf diesem Blog wünscht: Jörg Krüger
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