Montag, 16. April 2012

Was ein(e) Dingefinder(in) ist und wie man Dingefinder(in) wird. . .


Der Dingefinder, sein Sohn und die Entdeckung der Zeithaberin


Eingang zu Fockes Garten in Bremen. Foto: Jörg Krüger


Der Dingefinder und die Zeithaberin, bzw. die Dingefinderin und der Zeithaber (oder sie/sie oder er/er), sind ein Liebespaar. Das heißt: ohne Zeithabe kein Dingefind und vice versa. Meine Entdeckung der inneren Zeithaberin entsprang meinem geduldigen Spazierenstehen mit meinem Sohn in seinen ersten Jahren. Die eigentliche Vermählung mit meiner inneren Zeithaberin fand statt, als ich ausgestiegen wurde. Nach einigen Monaten loser Arbeit entließ ich mich geheilt als Dingefinder aus der Gesellschaft. In der darauf folgenden Zeit begann ich damit, konsequent durch diese Entlassung zu gesunden.

Auf der Suche nach einem vierblättrigen Kleeblatt für eine liebe Freundin hörte ich von meinem damals fünf Jahre alten Sohn folgendes: „Papa, ich finde keines!“ (Während er angestrengt auf den Boden starrend durchs Gras stapfte) „Eigentlich kann man vierblättrige Kleeblätter gar nicht suchen, man kann sie nur finden.“

Fernsehsprecher: „Das unendliche All. . .“, Dingefinders Sohn (vier Jahre alt): „Alle Alle sind unendlich.“ So fand ich die Weisheit, ohne Löffel.


Was tut ein Dingefinder?

Er geht. Er leugnet die Herkunft des Menschen von den Sammlerinnen und Jägern nicht und empfindet das Erstellen von Pyramiden, Schnellstraßen und Wolkenkratzern nicht als ein Zeichen von Hochkultur. Sammlerinnen und Jäger hinterließen kaum Spuren.

Der männliche Dingefinder findet seine weibliche Seite, die Zeithaberin. Das wird sein erster Fund. Er wird zum Anbeter der Göttin der kleinen Dinge und findet weiteres. Was er nicht findet: Sich selbst oder das Gesetz der großen Wahrheit oder „den Weg“ oder . . .

Ein jedes Ding findet sich zur rechten Zeit am rechten Ort:

„Manchmal bin ich nur ein Sänger
doch was wollte ich denn mehr?
Ich bin dann wie ein Schmetterling
Außen bunt und innen leer.“

So finden sich zum Beispiel Lieder. Es finden sich Bilder in Wolken und Winke in Baumkronen. Ein Dingefinder findet immer den richtigen Weg. Der richtige Weg ist der, auf dem er das Richtige findet.


Wie wird jemand Dingefinder?

Dingefinder wird man nicht. Plötzlich ist man es. Du gehst des morgens sinnierend deine gewohnten Pfade. Zur Arbeit, Morgenspaziergang. Und da findest du zum Beispiel eine wundervoll gemaserte Kastanie frisch vom Baum. Dann findest du vier abgebrannte Streichhölzer. Schließlich noch zwei kleine, dicke Eicheln und vier Eichelhütchen. Und eh du dich versiehst, sitzt du am Wegesrand in der Sonne, zückst dein Taschenmesser und bastelst dir ein Fabeltier. Den Esel von den Bremer Stadtmusikanten. Das Mondenkalb. Und schon kommst du zu spät irgendwohin. Oder gar nicht. Deine Freiheit beginnt sich auszuweiten.

Nach einiger Zeit beginnst du damit, das Finden der kleinen Dinge zu kultivieren. Und siehe da: überall lauern kleine Mitbringsel auf dich: Sternchen in verschiedenen Größen und aus verschiedenen Materialien, Eichelhäherfedern, bunte Steine. Ich habe eine Zeit lang andauernd Fahrradklingeldeckel gefunden. Immer wieder Fahrradklingeldeckel. Bis ich mir ein Fahrradklingeldeckelxylophon bauen konnte.

Schließlich merkst du, dass das „ziellose“ Umherstreifen und Dingefinden gepflegt sein will. Dass du Zeit brauchst. Und du siehst immer mehr Tätigkeiten und Bindungen, die dir die Zeit nehmen. Wenn du dich der Zeithabe intensiv hingibst, wirst du irgendwann deine Zeithaberin finden, oder deinen Zeithaber. Je näher du deiner Zeithaberin kommst, um so mehr Dinge wirst du finden, die dir den Weg zu ihr zeigen. Wenn du deine Zeithaberin gefunden hast, seit ihr ein schönes Paar: der Dingefinder und die Zeithaberin. Es ist, als würdest du eine andere Welt betreten.


Ist es jeder und jedem möglich, Dingefinderin oder Dingefinder sein zu können?

Wie kann jemand etwas werden, das nie geworden sein kann? Kann eine Hyazinthe beschließen eine Hyazinthe zu werden? Der Ursprung der Menschheit ist das Dingefinden. Noch einmal: Ohne Zeithabe kein Dingefind. Eine Lebensentscheidung. (Mein Sohn ist in dieser Hinsicht der Meinung, man muss nur zum richtigen Zeitpunkt auf den Boden blicken, alles weitere wird sich finden).

Viel Spaß beim Finden des Zeithabers, der Zeithaberin und beim Dingefinden!

7 Kommentare:

  1. Dingefinder können auch Menschenfinder werden. Wenn sie sich Zeit für Gespräche nehmen. Und schlußendlich eine Gemeinschaft bilden, in der mehr Hände das gleiche Tagwerk viel schneller erledigen können als einer allein. Und mit viel mehr Spass und Freude. Ich bin eher ein Menschenfinder. Danke für diesen wunderbaren Artikel!

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    1. Liebe Britta, das sehe ich exakt genauso. Daher gibt es hier auch den Gemeinschaftsgarten rund um das Atelier Laubenpiep, wo sich mehr und mehr die Menschen treffen, und die Salons, welche um uns entstehen, da treffen wir uns und tragen unsere Texte vor und musizieren und schlemmen und/oder lauschen einfach nur. Darüber werde ich demnächszt mehr berichten. Es gibt eine reale Welt neben der virtuellen. Und die ist wunderschön!

      Liebe Grüße, Jörg

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  2. Herzlichen Dank. Gibt es eigentlich auch den Gedankenfinder ? Wenn ja, dann, glaube ich, bin ich einer...

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  3. Vielleicht finden die Gedanken ja auch uns?

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  4. Lieber Jörg,
    das macht Lust auf mehr ... Ja, so sollten Menschen leben.
    Wenn ich daran denke, dass es noch gar nicht lange her ist, dass Menschen geruhsam vor ihrem Haus sassen, in die Welt guckten, schwiegen, plauderten - Ruhe und Zeit. Das war ganz selbstverständlich.

    Sich nicht mit-reissen zu lassen - das ist ein gutes Ziel.
    Vielen Dank für die Anregung!
    Herzliche Grüsse.
    Kati

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  5. So dürfen Menschen leben. . . (Dieser Text entstand als Geletiwort für meine erste Textrevue als Dingefinder "Wer zu allem immer nur nickt - (wird vom Schicksal ins Schiscksal geschickt) )

    Doch vom Vorsatz zum Geschehen ist oft ein weiter Weg. . .

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