Freitag, 31. Januar 2025

Die zweite Ernte des Jahres

 


Heute, am letzten Tag des Januar, lockte mich die Sonne heraus. Sie schien gar zu verlockend durch die Fenster meines Zimmers. Ich lenkte meine Schritte in Richtung Solling und ging einen Weg am Waldrand ab, klar, auch um zu schauen, was der Winter so zu bieten hat. Mich fragte einmal jemand, mit dem ich auf Waldspaziergang war, vorwurfsvoll, ob ich denn nicht einmal zweckfrei durch den Wald gehen könne, und nur die Schönheit genießen. Also so ganz romantisch-verschwärmte Waldeslust in etwa.

Ich bin von Kindesbeinen an mit Eltern und Großeltern im Wald, sie zeigten mir Pilze, Beeren, Kräuter, und wie sie gesammelt und verwertet werden. Bei meiner Großmutter lernte ich die Taubnesselblüten auszuzupfen, da ich so feine Finger hatte, mein Großvater zog mit seinem Spazierstock Lindenzweige herab, damit ich an die Blüten kam; Blaubeeren waren ein Teil unseres Wintervorrates, wenn es Pfannkuchen gab, gab es vorher eine Blaubeerensuppe (mit Grießklößchen); und an den Duft gebratener Pfifferlinge und Maronen erinnere ich mich gerne; tief in meinem Gedächtnis verankert sind auch die Gerüche auf Großmutters Dachboden, wo Weißdornblüten, Heidekrautblüten und Lindenblüten beim Trocknen miteinander wetteiferten, meine Nase als erste zu erreichen. Ist doch das olfaktorische Gedächtnis das prägenste, das, mit dem sich Erinnerungen quasi automatisch wiederherstellen lassen.

Später wurde ich Gärtner, Pädagoge und Dichter, doch das Sammeln wilder Kräuter, Beeren, Nüsse, Pilze war immer Teil meines Lebens, und ich lernte dazu, genügend, um später selbst Kräuterwanderungen und Kochkurse anzubieten. Das ist Teil meines Wesens, und wenn ich im Wald bin, auch in einem mir unbekannten, dann geht es mir so, dass, wenn sich die Vegetation verändert, der Graswuchs unter den Bäumen ein anderer wird, die Moosbänke andere Farben annehmen; dass sich ohne dass ich das willentlich zu steuern vermag, mein Blick ändert - ich bekomme den Pilzblick.

Doch auch der Krautwuchs am Wegrand interessiert mich, und die meisten kenne ich mit Namen (und Anwendung). Was jedoch nicht heißt, dass ich die Schönheit des Waldes, der Landschaft, der Sonneneinstrahlung durch die Baumwipfel, dass ich das Smaragdgrün der bemoosten Stämme, das leise Singen von scheuen Vögeln nicht wahrnehme und mich daran erfreue. Denn beides gehört zu meinem Wesen. Jener Kritiker übrigens redete die ganze Zeit irgendetwas Wichtiges und Salbungsvolles, dass ich ganz abgelenkt wurde von der mich umgebenden Schönheit.

Heute war ich allein unterwegs, und ich wurde, wie erhofft, fündig. Oben auf dem Foto der Holunderschwamm (Auricularia auricula), einer seiner vielen deutschen Namen, die ich nicht alle hübsch finde. Am besten gefällt mir die chinesische Bezeichnung Wolkenohrpilz. Als Chinesische Morchel oder Mu-Err getrocknet zu kaufen, ist er in China sehr beliebt in der Küche.

Der Geruch ist mild - erdig, und der Geschmack sanft pilzig, manche sagen, er wäre geschmacklos. Auch gilt er als Heilpilz, unter anderem bei Bluthochdruck und zur Vorbeugung eines Herzinfarktes angewendet. Meine heute von mir gefundenen Exemplare kommen morgen mit in meine Wurzelsuppe, eine Brühe, bestehend aus Porree, Sellerie, Karotten und Petersilienwurzeln, abgeschmeckt mit Miso, der japanischen Sojapaste.


Manche verwechseln den Holunderschwamm mit einem der Drüslinge, zum Beispiel den hier abgebildeten Abgestutzten Drüsling (Exida truncata), einem Gallertpilz, der auch gerne im Winter wächst. Dieser soll geschmacklich und geruchlich neutral und ungenießbar sein. Er gilt als ungiftig, also eine Verwechslung wird sich überleben lassen.



Ein weiterer Gallertpilz, nur weitaus auffälliger, ist der Goldgelbe Zitterling (Tremella mesenterica), auch er häufig im Winter zu finden, geschmacklich und geruchlich neutral, auch er soll essbar sein, aber keine kulinarische Offenbarung. Also erfreue ich mich an der erfrischenden Farbe und lasse ihn im Wald.




Ein paar Austernseitlinge fand ich auch noch - drum sage mir niemand, dass der Winter außer Schönheit nichts zu bieten hätte.


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