Sonntag, 14. Mai 2023

Muttertag bei Mutter Natur

 



Muttertag bei Mutter Natur


Nun ist meine Mutter schon lange nicht mehr unter uns, und blickt auf die Dinge von höherer Warte. Doch eine Erinnerung blieb bei mir haften, aus meiner Kinderzeit: Zum Muttertag gab es für Mami (wie wir sie nannten) immer einen Fliederstrauß. Und da in unserem Garten kein Flieder wuchs, wurde er kurzerhand beim Nachbarn gemopst. Da auf unserem Obstanger ein Syringenstrauch wächst, kann ich die Gärten der Nachbarn heuer verschonen, um ein Muttertaggedenksträußchen zu schneiden.

Speisemorchel
Unsere Streuobstwiese ist etwas außerhalb vom Ort, und wenn ich mir einen kleinen Umweg erlaube, dann führt mich mein Weg dorthin an einigen Fundstellen vorbei. Zum einen brauche ich noch etwas Waldmeister für den diesjährigen Sirupvorrat, zum anderen führt mich dieser Weg an „meinem“ Morchelrevier vorbei. Zwar habe ich dort in diesem Frühling schon zwei Mal vorbei geschaut, doch ergebnislos: bis dato war es hier verhältnismäßig kühl. Doch heute sollte mir sofort eine Speisemorchel begegnen, und das ließ mich hoffen. Diese Hoffnung wurde leider getrügt, ich fand nur noch ein weiteres (recht stattliches) Exemplar, und dabei blieb es. Immerhin weiß ich jetzt, dass Morcheln in dieser Gegend kein Mythos sind. Gestern übrigens fand ich bei
Morchelbecherling
der Gartenarbeit in unserem verwilderten Garten noch einen Morchelbecherling, ein seltener Fund, und für mich der erste in meinem Pilzsammlerleben überhaupt. Dieser scheibenförmige Pilz wächst an ähnlichen Standorten wie die Morcheln auch, und hat sich wohl nur verirrt. Leicht zu identifizieren ist er an seinem etwas unangenehmen Chlorgeruch, so etwa nach Hallenbad, doch der verschwindet beim Zubereiten komplett, und in der Qualität sind diese Pilze den Morcheln ebenbürtig. Roh sind sie unbekömmlich, doch glaube ich nicht, dass irgend jemand ob ihres Odeurs sie roh verzehren würde.

Mairitterlinge
Auf unserem Obstanger wurde ich dann etwas entschädigt für die kärgliche Morchelernte. Hier wuchsen, wie jedes Jahr die Mairitterlinge, sie sind standorttreu. Zuerst dachte ich, ich wäre hier zu spät gekommen, die ersten Exemplare, denen ich begegnete, waren schon drüber. Doch an einer schattigeren Stelle wurde es dann doch üppig, so dass es heute eine gute Pilzpfanne zum Abend gibt. Die Morcheln wandern da übrigens nicht mit hinein, sie werden getrocknet. Zusammen mit den getrockneten, die noch vom letzten Jahr übrig sind, wird es dann für eine deftige Pilzrahmsauce zu Nudeln reichen.

Waldmeister
So kam ich dann reich beschenkt von meinem Muttertagsausflug zurück: Waldmeister, zwei Morcheln, die Georgsritterlinge (wie die Maipilze auch genannt werden) und das Syringensträußchen. Auf dem Rückweg begegnete ich dann einer Nachbarin aus dem Dorfe, und wir kamen ins klönen. Und was erzählte sie mir? „Früher haben wir als Kinder den Fliederstrauß zum Muttertag immer beim Nachbarn gemopst.“

Zum Abschluss noch ein Gedicht von einem meiner Lieblingsdichter:

Syringen

Fast überirdisch dünkt mich euer Grüßen
Syringen ihr, mit eurem Duft dem süßen.

Nach Geisterweise weiß ich euch zu werten,
Ein Duftgesang er ist mirs von Verklärten,

Gott, wie ich doch in dieser blauen Kühle
Der Blumenwolke hier mich wohlig fühle!

Süß heimlich ahnend was hineinverwoben; -
Wie fühl ich mich so frei, so stolz gehoben!

Ha, bin ichs selbst, deß einstig Erdenwesen
Nun auch einmal zu solchem Glanz genesen?

Sinds meine Lieben, die, ach längst begraben,
In diesen Düften Fühlung mit mir haben?

Christian Friedrich Wagner, geboren am 5. August 1835 in Warmbronn, Baden-Württemberg; gestorben am 15. Februar 1918 ebenda, Kleinbauer und Dichter. Aus: Gesammelte Dichtungen, herausgegeben von Otto Güntter, Verlag Strecker und Schröder, Stuttgart 1918

„... er fühlte die tiefe Zusammengehörigkeit zwischen Tier, Mensch und Pflanze, Stein und Stern. Und er liebte das alles. ... Er war dogmenlos fromm. ... Er war allerdings ein Landmann; er hat die Natur gekannt, aber das Hälmchen war ihm kein Anlaß, 'Duliöh!' zu schreien oder ein knallig angestrichenes Gemüt leuchten zu lassen. Er war ein in sich gekehrter Künstler und wohl wert, daß wir ihn alle läsen und verehrten.“ (1919)

Kurt Tucholsky

„Es wird in deutscher Sprache nicht viele Wunder von der Art der dritten und der letzten Strophe des Gedichtes 'Syringen' geben“. (1922)

Karl Kraus


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