Donnerstag, 25. Mai 2023

Blaue Blumen

 

Linum perenne


„Was ihn aber mit voller Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume, die […] ihn mit ihren breiten, glänzenden Blättern berührte. Rund um sie her standen unzählige Blumen von allen Farben, und der köstliche Geruch erfüllte die Luft. Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Endlich wollte er sich ihr nähern, als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing; die Blätter wurden glänzender und schmiegten sich an den wachsenden Stängel, die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blütenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte.“

Novalis (1722 - 1801), aus seinem Romanfragment Heinrich von Oefterdingen

Als ich vor kurzem nach den Knabenkräutern schaute, habe ich auch wieder den Staudenlein (Linum perenne) blühend vorgefunden, der hier wild vorkommt. Wildwachsend ist er in Deutschland mittlerweile extrem selten, und streng geschützt. In Gärten ist er als hübsche Zierpflanze dagegen häufiger zu finden. Meiner Beobachtung nach sind die Blüten der hier wild vorkommenden Pflanzen „bläuer“ als die der gezähmten Verwandten.

Apropos Verwandten, verwandt ist der ausdauernde Lein mit dem feldmäßig angebauten Linum usitatissimum, aus dem das bekannte Linnen und das Leinöl gewonnen wird. Früher eine wichtige Faser- und Ölpflanze, wird er heute selten kultiviert. Ich durfte einmal ein blühendes Leinfeld sehen, dass ist schon ein erhebender Anblick. Der Staudenlein wurde übrigens früher auch zur Faserherstellung genutzt, allerdings für gröberes Tuch.

Ich liebe blaue Blumen und Blüten, und das nicht nur, weil ich ab und zu Gedichte schreibe, die etwas romantischer daherkommen. (Die Blaue Blume war auch ein Symbol der ab 1895 in Mode gekommenen Wandervögel, und auch ich war mit meiner damaligen Liebsten anderthalb Jahre quer durch Deutschland und bis nach Spanien „auf der Walz“).

Ich liebe blaue Blüten per se, besonders wenn das blau ein tiefblau ist und rein daherkommt, ohne Beimischung von rosa oder violett. Doch gefällt mir auch himmelblau. In Bremen, unter anderen Klimabedingungen (milder und feuchter, wegen dem nahen Golfstrom), hatte ich in meinem Stadtgarten in der Neustadt eine Kollektion Blaublüter zusammengesammelt.

Das fing früh im Jahr an mit dem Frühlingsblauglöckchen (Mertensia virginica), die dann von den Lungenkräutern (Pulmonaria) begleitet und abgelöst wurden, von denen es wunderhübsch tiefenzianblau blühende gibt, gefolgt von den ebenfalls sehr frühen Blauen Lerchenspornen (Corydalis flexuosa und C. elata). Alle diese hatte ich im Wurzelbereich einer großen Hasel gepflanzt, im Halbschattenbereich, und sie hatten diesen Standort gut angenommen, selbst die divenhaften blauern Lerchensporne, die als etwas schwierig gelten. Hier heißt das Geheimnis Urgesteinsmehl, das ich großzügig verwendete. Damit fühlten sie sich so wohl, dass sie sich sogar versamten.

Mertensia virginica


Corydalis Flexuosa, Foto Pixabay by Sonja-Kalee

Später im Jahr kamen dann andere blaue hinzu, die mehr in den Beeten
angesiedelt waren: Salvia patens (Foto rechts, pixabay, by Hans), ein Salbei mit großen reinblauen Blüten, der knollenbildend ist, die Knollen können im Keller überwintert werden; die Staudenclematis C. tubulosa, der himmelblau blühende Beinwell, Symphytum azurea;
der großblütige Rittersporn, Delphinum grandiflorum (Foto links, Pixabay, beauty of nature) der zwar mehrjährig aber meist kurzlebig ist. Ein wenig aufpassen muss man auf den Natternkopf, Echium vulgare, denn wo er sich wohlfühlt, versamt er sich gerne. Für den Steingarten geeignet, jedoch eher sauren Boden wünschend der Steinsame, Lithodora diffusa; und am sonnigen Spalier kletternd die Purpurwinde Ipomea tricolor „Heavenly Blue“, die größten blauen Blüten in meiner Kollektion.

Natternkopf


Clematis tubulosa

Der Star jedoch war der große Blaue Scheinmohn (Meconopsis grandis). Es wurde ja viel gerätselt, welches nun die Blaue Blume wäre, die Novalis meinte: Kornblume kam in Frage, Wegwarte wurde genannt (die beide hier wild vorkommen, die Wegwarte blüht im Sommer hier reichlich). Auch Enziane hätten es sein können. Hier wächst zum Beispiel der Fransenenzian, Gentianella ciliata, der im September blüht und mit seiner Farbe das Herz erfreut.



Fransenenzian, Gentianella ciliata

Doch der große Blaue Scheinmohn übertrifft alles, und wenn Novalis diese Pflanze gekannt hätte, die ursprünglich in Tibet beheimatet ist, dann wäre er sich sicher gewesen, die Blaue Blume entdeckt zu haben. Was Eichendorff nicht gelungen ist:

Ich suche die blaue Blume,
Ich suche und finde sie nie,
Mir träumt, dass in der Blume
Mein gutes Glück mir blüh.

Ich wandre mit meiner Harfe
Durch Länder, Städt und Au'n,
Ob nirgends in der Runde
Die blaue Blume zu schaun.

Ich wandre schon seit lange,
Hab lang gehofft, vertraut,
Doch ach, noch nirgends hab ich
Die blaue Blum geschaut.

Joseph von Eichendorff (1788 - 1857)

Ich selber bin zum ersten Male dem blauen Mohn in der Schauanlage einer Staudengärtnerei begegnet, sie hatten ihn in die Nähe einer künstlichen Bachanlage an der Quelle gesetzt, und mir stockte fast der Atem: eine über einen halben Meter hohe Pflanze mit Blüten so groß wie die Untertassen von Espressotassen, die vier Blüten in einem reinen, durchscheinenden Blau, im seidenzarten Blütenstoff, der den Mohngewächsen eigen ist, und in der Mitte strahlten gelbe Staubgefäße. Unvergesslich.

Es hat Jahre gebraucht, bis ich es dann heraus hatte, diese Pflanze aus Samen zu ziehen und zum Blühen zu bringen. Sie hat ihre Ansprüche, benötigt eher Halbschatten, wünscht eher sauren Boden, und hat das mildfeuchte Klima gern, das Bremen zu bieten hat. In England wird er häufiger als bei uns angepflanzt. Außerdem ist er kurzlebig. Doch alle Mühe lohnt, um ihn wenigstens einmal im Leben blühen gesehen zu haben. „Was ihn aber mit Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume. . .“

Meconopsis grandis, Foto Pixabay by Peter H: 

Freiheit als Blume,
blau, leuchtend, schön,
da hindurch
lassen sich
die Sphären sehn,
da hindurch
lassen sich die Sphären schauen,
in die Weiten,
in die weiten Himmel,
die blauen

Kein Sehnsuchtsort,
in meiner Jugend mir real,
noch konnte ich sie treffen,
und ich traf die Wahl,
wählte die Wälder,
die Gärten,
die Auen,
wählte Reime
und die Blumen,
die blauen

Wählte Wanderschaft,
und Heimkehr wieder,
wählte Gesang,
sang die neuen Lieder,
wählte Einsamkeit,
wählte Gemeinschaft auch,
wählte alten und neuesten Brauch,
werde noch mancherlei Wunder
im Alter sehn -
Freiheit als Blume,
blau, leuchtend, schön

(„Freiheit als Blume / blau, leuchtend, schön“, so begann ein Gedicht das ich als Sechzehnjähriger schrieb. Leider ist es verschollen, und nur die Anfangszeilen sind mir geläufig. Also schrieb ich es im Alter noch einmal neu. Die Blüte, die mich damals zu diesem Gedicht inspirierte war die vom Männertreu, Lobelia erinus, davon die ganz dunkelblaue Sorte)

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