Montag, 4. Januar 2016

Zuckerschoten für jedermann



Zuckererbsen für jedermann

Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!

Das schrieb Heinrich Heine 1844 in seinem Gedicht „Das alte und das neue Lied“, veröffentlicht in „Deutschland, ein Wintermärchen“.

Nun ist es Winter, vierter Januar, im Deutschen Wintermärchen 2016 erfüllt sich endlich der Wunsch nach Zuckerschoten, nicht nur für alle, sondern auch jederzeit. Das neue Paradies auf Erden heißt Supermarkt, und sobald man dort eintritt, sind Landesgrenzen und Jahreszeiten auf einem Schlag vergessen. Die bunten Früchte liegen dort: Mango, Ananas, Papaya, Sharon, Kaktusfeigen usw. aus aller Herren Länder, Litschi aus Madagaskar, Erdbeeren aus Ägypten oder eben Zuckerschoten („Kaiserschoten“) aus - Äthiopien. Ja, guter Heinrich, endlich ward dein Traum war, zwar ist das Zeug frisch recht teuer, es kommt ja von weit her, doch was nicht subito verkauft wird, wird dann nach unten an die Tafeln weitergereicht, also doch: Alles für jedermann.

Äthiopien gilt als eines der ärmsten Länder der Welt: Von jeweils 100 Menschen müssen 31 - also ungefähr jeder 3. Äthiopier - mit weniger als 1 Euro am Tag auskommen. Zahlen: Vereinte Nationen 2007-2011. Der SPIEGEL schrieb 2005 über dieses Land: Die ständige Verfügbarkeit von Almosen macht im ärmsten Land der Welt alle Initiativen platt. Ein gut geölter Samariterapparat trainiert den Äthiopiern die Fähigkeit ab, sich selbst zu ernähren. Ein Land am Tropf der Welthungerhilfe.

Das wiederum weiß das Internetportal „Germany Trade & Invest“ (Gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie) am 12. 3. 2015 über Äthiopien zu berichten: „Die Landwirtschaft ist die wichtigste Einkommensquelle für die etwa 85% der Bevölkerung, die auf dem Land leben. Ihre Zahl wächst jährlich um etwa 2,4% bzw. 1,5 Mio. Menschen und damit deutlich schneller als die Migration in die städtischen Ballungsräume (Quelle: Weltbank). Die äthiopische Landwirtschaftserzeugung ist bislang nahezu ausschließlich auf günstige Niederschläge angewiesen und wird von Subsistenz- und Kleinfarmern dominiert. Letztere sind trotz ihrer geringen Größe die Hauptquelle der gehandelten und exportierten Agrarerzeugnisse.“

Und: „Anspruch und Wirklichkeit liegen noch weit auseinander - Nach den Vorstellungen der Regierung wird sich das allerdings sehr schnell ändern: Ausländische Investoren sollen in großem Stil und auf riesigen Ländereinen - von der Regierung zu einem Spottpreis geleast - Nahrungsmittel für den Export anbauen. Nach den Planvorgaben sollen 3,3 Mio. Hektar Land urbar gemacht und schon 2015 rund 6,6 Mrd. US$ mit dem Export von landwirtschaftlichen Erzeugnissen verdient werden. Solche Vorgaben entbehren zwar jeglicher Realität, das Potenzial ist aber grundsätzlich da und das Konzept zielt durchaus in die richtige Richtung.“

Am 23. 4. 2015 berichtete die ZEIT: 90 Prozent der Flüchtlinge kämen aus Nigeria, Äthiopien und Somalia – "Orten, wo sie um ihr Leben fürchten. Wir können sie nicht abhalten", ihre Heimat zu verlassen, sagte die Ministerin. (Roberta Pinotti, Italiens Verteidigungsministerin).

Es werden für unser Paradies Früchte eingeflogen, die aus einem Land stammen, in dem die Welthungerhilfe aktiv ist, und aus dem Menschen aufgrund der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Situation flüchten, sofern sie die Mittel dazu haben. Angesichts dieser Tatsachen versagt mir die Sprache. Nur manchmal blitzt etwas wie verzweifelter Zynismus in mir auf, und ich denke, „Nun gut, wenn die äthiopischen Zuckerschoten endlich kurz vor dem Verfallsdatum nach unten von den Tafeln durchgereicht worden sind, dann können sich die äthiopischen Flüchtlinge an Früchten ihrer Heimat erfreuen.“

Ob das Heinrich Heine mit „Zuckerschoten für jedermann“ gemeint hat? Vielleicht sollten wir alle zusammen an einem neuen, einem besseren Lied dichten:

Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben,

Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust
Und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.



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