Nun ist es in Kürze so weit: Der Holzboden meiner zukünftigen Behausung ist geschliffen, grundiert und gewachst, so dass meine "neuen" Möbel Einzug nehmen können. Ich durfte mir bei einer Haushaltsauflösung dies und das aussuchen, eine schöne alte Kommode war darunter, Tisch und Stühle aus warmen Holz, und ein Bauernbett wurde mir auch offeriert. Doch das liebeste Fundstück ist mir eine alte Singer-Nähmaschine, mit Tretbrett und Schwungrad, die in einem Schränkchen verschwinden kann. Nicht nur, dass sie schön ist, gefällt mir, sondern auch, dass alle Kleinigkeiten dabei sind, wie Rollen und Rädchen, Ersatznadeln und so weiter. eben das, was oft fehlt. Nun bin ich nicht so der "Näher", das letzte Mal, als ich mich darin versuchte, ist mittlerweile fünfundzwanzig Jahre her, und da nähte ich mir von Hand eine Lederhose. Nicht fashionabel, doch originell. Doch eine Nachbarin hat mir zugesagt, mich in diese Kunst einzuweisen. Und weil mein gutes Stück eine "Singer" ist, singe ich Christian Morgensterns Gedicht von der Nähe beim Nähen:
Die Nähe
Die
Nähe ging verträumt umher. . .
Sie
kam nie zu den Dingen selber.
Ihr
Antlitz wurde gelb und gelber,
und
ihren Leib ergriff die Zehr.
Doch
eines Nachts, derweil sie schlief,
da
trat wer an ihr Bette hin
und
sprach: „Steh auf, mein Kind, ich bin
der
kategorische Komparativ!
Ich
werde dich zum Näher steigern,
ja,
wenn du willst, zur Näherin!“ –
Die
Nähe, ohne sich zu weigern,
sie
nahm auch dies als Schicksal hin.
Als
Näherin jedoch vergaß
sie
leider völlig, was sie wollte,
und
nähte Putz und hieß Frau Nolte
und
hielt Obiges für Spaß.
Christian Morgenstern (1871 - 1914)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen