Montag, 11. August 2014

Die Beherrschung verlieren


Undeutlich erinnere ich mich noch an diese Jesu-Geschichte aus dem Konfirmandenunterricht: Es ging um das Zahlen von Steuern, und um Jesus´ Haltung dazu. Er ließ sich eine Münze geben, drehte sie auf die Kopfseite und ließ sie herumreichen mit der Frage dazu, welches Konterfei dort abgebildet sei. Der Kopf des Kaisers sei zu sehen: „Also gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.“

Eine der vielen Jesu-Geschichten, die mich in ihrer Schlichtheit beeindruckten. Mehr als das „Auf dem Wasser gehen“ oder die Wiedererweckung des Lazarus. Dass Jesus vom Gelde einigermaßen unabhängig war, hatte er ja schon darin bewiesen, dass er die Speisung der Fünftausend arrangierte. Wie groß seine Unabhängigkeit wirklich war, zeigte mir dieser kleine Satz: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.“


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"Die Welt"  -  Welche Welt?

„Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, sicher, dieser Satz kann auf das Himmelreich, das, je nachdem, paradiesische oder höllische Jenseits verweisen. Doch hat das Wörtchen „Welt“ noch eine zweite Bedeutung als die der „Welt an sich“, also dem Universum, dem All und Alles. Letzterem zu entsagen hieße, aus der Welt flüchten, heim in des Vaters Schoß. Wie solle das gehen, wo wir doch aus der Mutter Schoß geboren sind?

Die andere Bedeutung des Wortes Welt ist die der weltlichen Mächte in ihrem gesamten Umfang, die Mächte des Feudalismus, die Kaiser und Könige, die Herzoge, Grafen, Barone und ihre Vasallen; dazu noch die Welt der Städte mit dem ihnen eigenen dazugehörigen Leben. Diese gilt es für mich zu verlassen, und dazu gehört: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.“

Die andere Welt ist die schöne Welt, dieser blaue, grüne Planet, unsere Mutter Erde. Sie ist weiblich, und sie ist nicht „Fraw Welt“, die es zu verlassen gilt. Sie ist die Heimat, zu der wir gerne zurück kehren, auch wenn sie temporär uns unwirtlich erscheint, da die „weltliche Welt“ zu sehr von ihr Besitz ergriffen hat. Die für mich zu verlassende Welt ist die, welche ich zurück gebe, da sie „des Kaisers“ ist.


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Nun befindet sich auf unseren Münzen nicht mehr das Antlitz des Kaisers, doch es steht „Deutschland“ darauf. Dahin also gebe ich das zurück, was mir nicht gehört. Im Geldkreislauf bin ich diesem imaginären Gebilde verhaftet, und so nehme ich mit einem Anteil der zu mir kommenden Materie daran teil: Dem Gelde. Nun kann ich mich davon nicht ganz lösen, bin ich doch Teil sowohl dieser als auch jener Welt. Doch eines vermag ich zu tun: Dem Staate (dem Kaiser) dass zu geben, was des Staates ist. Mich aus der Magie des Geldes lösen, und mich der Magie der „anderen Welt“ zuwenden. Diesem schönen, blauen, grünen Planeten, der Mutter Erde, auch wenn diese Welt tief verwundet ist.

Dieses vermag ich nicht „draußen“, in der Welt, denn dort bin ich zu vielfältig verstrickt. Die wenigsten wissen, dass die Welt auch eine Innenseite hat, die zu ihr gehört wie der Schatten zum Licht. „Das ist meines!“, sagte ich. „Schließe die Augen, und alles was du dann siehst, ist deines“, antwortete der Freund scherzhaft darauf. Nun, nicht nur die Acidheads wissen, was alles hinter den geschlossenen Augenlidern stattfinden kann, und was somit „meines“ ist. Ein großes, quasi immaterielles Reich erwartet uns dort. Ein Reich der Gefühle, Gedanken, Bilder, Träume, alle Liebe findet zum Beispiel dort statt, auch alle Wahrnehmung der Qualität im Gegensatze zur materiellen Quantität.

Selbst wenn die Augen geöffnet sind, ist die qualitative Seite von Welt und Leben wahrnehmbar, auch wenn es dann schwieriger ist. Der Augenschein stellt sich oft vor die Filigranität der qualitativen Wahrnehmung. Nicht umsonst schließen Genießerinnen und Genießer oft die Augen, wenn sie Wein verköstigen, wenn sie der Musik lauschen, wenn sie die oder den Liebste/n sanft berühren.

Des Kaisers Welt ist die da draußen, die unbeseelte Goldwelt, wo in den Gold- und in andere Räusche gekommen werden kann, und wo den Indianern Glasperlen „angedreht“ werden, zum Tausch gegen das Gold. Nun, ich habe es bei meinem Sohn gesehen: Jedes Kind (auch ich großes Kind) ist fasziniert von wunderschönen, in allen Farben funkelnden Glasperlen, und durchaus bereit, dagegen das Gold, „Götterdreck“, wie die Indianer es nannten, weg zu geben. Gegen die Schönheit der Glasperlen ist die Schönheit des Goldes eher eine imaginäre, die auf der Vorstellung des Wertes beruht, mithin auf Magie, auf „Rausch“. „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder. . .“, auch so ein Heiligenwort. Es ließe sich ergänzen mit: „. . . dann werdet ihr nicht Gold gegen Glasperlen tauschen“. (Und zum Kamel werden, welches am Nadelöhr verzweifeln muss, während das Dingefinderkind sich an einem bunten Kiesel erfreut. Diese Freude ist ganz innerlich).


Je mehr ich damit beginne, mich von dem zu lösen, was des Kaisers (oder Deutschlands) ist, dem Gelde, um so mehr beginne ich mich der anderen Welt zu zuwenden. „Sichlösen“ findet nicht in der materiellen Welt statt, dort brauche ich die Münze des Landes, in dem ich wohne. Ich werde weiterhin tauschen mittels des Tauschmittels Geld, da ich nicht vermag, alles Lebensnotwendige und alles Schöne, welches ich um mich wissen möchte, selbst herzustellen. Das ist auch gar nicht mein Begehr, bin ich als Mensch doch ein soziales Wesen. Doch wenn ich es vermag, mich im Inneren, in meinem Reiche der Liebe und der Qualität, der Träume und Bilder, mich davon zu lösen, wenn ich die magische Bindung kappe, dann, ja dann löse ich einen Teil meiner Verstrickung mit Kaiser und Staat. Ich werde weniger beherrschbar. Ich verliere die Beherrschung. Ich bin ein Verlorener den Herrschenden.


Unabhängigkeitserklärung

Manche Revolutionen beginnen leise.
Ich erkläre mich selbst zu meinem eigenen Staat.
Ich lebe auf meine eigene Weise
Und ziehe keinen neuen Stacheldraht.

Ich fürchte nicht, mich quer zu stellen
Zu den Geistern der Zeit.
Das Werden der Welt verläuft in Wellen.
Ich halte mich für die nächste bereit.

Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühn?
Vielleicht ist es mein Wintergarten.
Ich kann dort alles, auch Petersilie ziehn.
Nur keine Diplomaten.

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„Fraw Welt, ich muss entsagen, es ist Zeit“, sang Walther von der Vogelweide. Die „Fraw Welt“, der hier entsagt wird, ist die Frau mit der verführerischen Vorderseite, glänzende, nardenduftende Hure Babylon; doch ihre Rückseite ist Moder, Grauen und Zerfall  -  „Fraw Welt“, das ist die Frau, der sich der Mann mit Geilheit nähert, jedoch: „Nach dem Beischlaf ist jedes Lebewesen traurig“.

Doch möchte ich diese Geilheit nicht mit Sinnlichkeit zu verwechseln. Die Bindung an die Frau, nicht an die „Fraw Welt“, sondern an die reale Frau, welche in der Gegenwart bei mir liegt in ihrer Nacktheit und lustvollen Hingabe, ist Liebe. Liebe, einerlei und unabhängig von der Dauer der Begegnung, sei es die eine selige Nacht, sei es für längere, lange Zeit. Die Gegenwart weiß davon nichts, ebenso wenig wie die Liebe. „Drum prüfe, wer sich ewig bindet“? Es gibt nur ein Ewiges: Die heilige Gegenwart. Darum prüfe ich: Ist Liebe und Respekt darin? Dann gibt es kein trauriges Ende nach dem Beischlaf. Es gibt Intimität.

Am Rande bemerkt: Wo ist „Herr Welt“? - „Herr Welt, ich muss entsagen, es ist Zeit“. Ich muss entsagen den Vaterländern, den Stechschrittmännern, den männertümelnden Soldatenhorden. „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“. Der Dichter in mir mag die Muttersprache lieber als die Vaterländer.

Wenn ich mich innerlich nicht mehr beherrschen lasse, dann verliere ich sie, die Beherrschung.


Gebet

Göttin, lass den Wohlgeschmack der reifen Früchte
meine Askese sein,
trage die Süße Deiner ambrosischen Kräutersäfte
in jedes Glied meines Körpers.
Wie erfreue ich mich der Zärtlichkeit
und Wärme Deiner Töchter, Göttin,
Hand auf Haut, Haut an Haut. Wie liebe und genieße ich
all Deine irdischen Ausformungen.
Deine freigiebige Welt so wunderbar eingerichtet, Göttin,
die Morgenklänge der Amsel, das überwältigende Gelb
löwenzahntragender Frühjahrswiesen,
das Salz der schwingenden Meereswellen,
das satte Gesicht des Säuglings.

Wer sich in die Himmel sehnt, den halte nicht, Göttin.
Die blasphemischen Priester der dreiunddreißig Himmel
und die Verächter der Erde und ihrer Gunst:
Sollen die doch dahinziehen,
wenn sie Deine Gaben nicht schätzen.
Sollen sie ihre Astral- und Kausal- und was weiß ich -Körper nehmen
und die ihnen zugeordneten Gefilde beziehen.
Ich aber will hier unten mit meiner Geliebten und meinen Kindern
die strahlende Lust des Lebens feiern, im Kreise der Freunde,
in der wärmenden Sonne des Sommerabends
und lachend und selig Deine Gaben genießen, Göttin.

Soll mein Genuss meine Anbetung sein!



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