Samstag, 24. August 2024

Heute ist der 2. Fredelsloher Klostertag

 


Heute ist der 2. Fredelsloher Klostertag, und auch ich leiste wieder einen Beitrag, um 14:30 Uhr in der Klosterkirche: "Fredelsloher Sagen neu erzählt", wo ich unter anderem diese kleine Geschichte vortragen möchte:

Es ist nun schon einige Zeit her, dass ich neu hier im Dorfe bin, also, so ganz neu, denn „noch neu“, also Zugereister, ist man hier auch nach vierzig Jahren Ansässigkeit. Einmal in der ersten Zeit meines Hierseins, begab es sich, dass ich bei meinen Erkundungswanderungen in der schönen Landschaft rund um meiner neuen Wahlheimat den steilen Weg die Weper hinaufstieg. Es war schon Sommers Mitte, die Hundstage hatten begonnen, und flirrende Hitze stand über den kargen Wiesen auf dem Muschelkalk des Hügels. Etwas schimpfte ich über mich selbst, an so einem heißen Tage ausgerechnet um die Mittagsstunde mich auf diesen Weg zu machen.

Oben auf dem Kamm der Weper angekommen, wanderte ich einen schmalen Fußpfad Richtung Nienhagen weiter. Hier hatte ich einen weiten Ausblick auf die Landschaft ringsum und das Dorf unter mir, oben kreiste ein Milan, und die Sommersonne ließ den Zitronenthymian, der ringsum in flachen Hügeln wuchs, duften. Etwas weiter weideten Schafe und Ziegen. Idylle. . .

Als ich zu einer aus rohem Holze gezimmerten Sitzbank kam, saß darauf ein Wanderer, ein älterer Herr, der mich freundlich grüßte. Er saß entspannt, doch etwas steif da, mit grauem gepflegten Bart, der sein Gesicht einrahmte, und trotz der Hitze einen grauen Hut auf dem Kopfe, an dem er eine Hahnenfeder befestigt hatte, die bei jeder Bewegung seines Kopfes lustig winkte. Nicht nur sein Hut war grau, auch seine Jacke und seine Hose, beide aus einem schweren lodenähnlichem Stoffe geschneidert, die wie der Hut so gar nicht zu den sommerlichen Temperaturen passten. Es schien wohl an dem Flirren in der heißen Luft zu liegen, dass es mir schien, als würde das grau seiner Kleidung und seines Hutes mal zu einem dunkleren anthrazitton changierten, mal zu einem dunklen Grün.

Linker Hand neben ihm auf der Bank befand sich ein kleiner Wanderrucksack nach Jägerart aus grauem Leinenstoff und Leder gefertigt, rechts neben ihm war an die Bank ein Wanderstab gelehnt, schmal und aus hellem Holze, der jedoch ähnlich den Knütteln der wandernden Handwerksburschen einige schlangenartige Windungen in der Mitte aufwies. Diesen Stab nahm er und stellte ihn vor seinen Rucksack, so dass auf der hölzernen Bank auch für mich Platz wurde, und lud mich mit einer Handbewegung ein, mich zu setzen. Ich dankte und nahm das Angebot an. So aus dieser Nähe neben ihm konnte ich auch seine Augen erkennen, die vorher vom Schatten der Hutkrempe bedeckt waren. Es waren tiefdunkle Augen wie Bergseen, und ich könnte auch heute noch nicht sagen, von welcher Farbe. Mal schienen sie so grau wie seine Kleidung, dann wieder mitternachtsblau und unergründlich, dann konnten sie, besonders wenn er lächelte, in einem strahlenden Blau aufblitzen, in dem sich gar das Türkis des Meeres erahnen ließ.

Nachdem ich mich neben ihn gesetzt hatte, holte er eine Feldflasche aus dem Rucksack und zwei kleine tönerne Trinkkrüge, die er zwischen uns auf die Bank stellte und mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit aus der Feldflasche füllte und sagte: „Trinken sie, junger Mann, bei dieser Hitze wird es sie erfrischen.“ Seltsamerweise nannte er mich „junger Mann“, wo doch auch mein Haar schon das Grau des Endfünfzigers angenommen hatte. Wie dem auch sei, schon nach dem ersten Schluck aus dem mir angebotenen Trinkkrug fühlte ich mich erfrischt und erheitert.

Eine Weile saßen wir schweigend neben einander, und schauten von unserer Warte hinunter auf das Dorf Fredelsloh, das mit seiner mächtigen Kirche und deren zwei Türmen friedlich im Tale lag. „Fridessele“, sagte er nach einer Zeit, das Gesicht mir zugewandt, „Friedenseele, kennen sie das Dorf?“ Ich erklärte ihm, dass ich noch neu hier wäre, doch begierig wäre, mehr von meiner Wahlheimat zu erfahren, denn schließlich könne man nur dort heimisch sein, wo man auch etwas über die Geschichte weiß. Er nickte:

„Warum das hier ein Friedensort ist, wissen nur noch wenige, und nicht alle Geschichten, die sich um diesen Ort ranken, entsprechen diesem Namen. Sehen sie die Kirche?“

Ich bejahte. „Es gibt da eine Geschichte aus dem früheren Klosterleben, die ich ihnen, junger Mann, gerne erzählen möchte“. Ich nickte und lauschte, und so begann er:

„Sie stammt aus der Zeit, als das Kloster und die Kirche noch von den Nonnen unterhalten wurde, das ist schon einige hundert Jahre her. Schon immer wurde das Tal, in dem das Kloster mit seiner Kirche gebaut war, von Unwettern heimgesucht, das ergab sich aus seiner Lage zwischen dem Hainberge, der Ahlsburg und dem Höhenzug der Weper, auf dem wir uns jetzt befinden.

Doch damals war das nicht nur ein Gewitter, dass sich über dem Friedensort entlud, sondern, so heißt es in der alten Geschichte: `Einst entlud sich über dem Kloster Fredelsoh ein furchtbares Unwetter. Schon zwei Tage zuckten unaufhörlich die Blitze, rollte furchtbar der Donner und gossen wolkenbruchartige Regen hernieder`“

Während der alte Herr erzählte, sah ich, wie unten im Tale sich der Himmel um die Türme der Klosterkirche verdunkelte, als würde eine schwarzblaue Wolke herabsinken. „Und obgleich die frommen Klosterjungfrauen heiße Gebete gen Himmel sandten, so zeigte sich noch immer keine Hoffnung auf das Weichen des Unwetters, und den Frauen schien es, als sei die Hölle auf sie herab gekommen. Am Morgen des zweiten Tages trat eine der Nonnen, es war die jüngste von allen, vor die Äbtissin und sagte:

`Mir träumte in der tiefen Nacht,
ich sei zum Opfer dargebracht,
mich in des Himmels Licht zu stellen,
um mich herum des Tages Nacht erhellen,
und werd´ durch diese tiefe Treue
entführt in des hohen Himmels Bläue`

Und die Nonne bat, hinaus aus den Mauern des Klosters geführt zu werden. Doch die Äbtissin wollte davon nichts wissen. Als dann die zweite Nacht anbrach, trat die Nonne wieder hervor:

`Mir träumte in der tiefen Nacht,
ich sei zum Opfer dargebracht,
mich in des Himmels Licht zu stellen,
um mich herum des Tages Nacht erhellen,
und werd´ durch diese tiefe Treue
entführt in des hohen Himmels Bläue`

Und so harrten die frommen Frauen in den klammkalten Klostermauern eine weitere Nacht aus, singend, murmelnd, betend. Um das verdüsterte Kloster pfiffen und kreischten die Winde, rauschten die Regenfälle, zuckten die Blitze. Als auch diese Nacht mehr schlecht als recht überstanden war, trat am im Morgengrauen die Nonne abermals vor die Äbtissin:

`Mir träumte in der tiefen Nacht,
ich sei zum Opfer dargebracht,
mich in des Himmels Licht zu stellen,
um mich herum des Tages Nacht erhellen,
und werd´ durch diese tiefe Treue
entführt in des hohen Himmels Bläue`

Als die Äbtissin wieder davon absah, dem Gesuch der Jungfrau nachzukommen, und die Klostertüren verschlossen hielt, da gelobte die junge Nonne bei der Jungfrau Maria selbst, sich hier und jetzt im Kloster zu entleiben. Da endlich erteilte die Äbtissin der jüngsten Schwester ihre Genehmigung zu dem Vorhaben, aber sie tat es nur mit schwerem Herzen, denn sie hielt sie besonders lieb und wert. Feierlich ward die Arme jetzt am Altar dem Himmel geweiht. Nachdem dies geschehen, führten zwei der Schwestern sie hinaus in den Klostergarten. Noch waren sie nicht weit gegangen, als auch schon ein Blitzstrahl hernieder fuhr und die Auserkorene augenblicklich tötete, während die anderen beiden unversehrt blieben. Noch ehe diese heimgekehrt waren, hatten sich auch schon die Wolken geteilt und verzogen, nach dem grausen Unwetter zeigte sich jetzt das reine, blaue, im Sonnenstrahl herrlich schimmernde Himmelszelt.“