Dienstag, 6. Juni 2023

Mauerritzenexkursion: Die Belebung der Klostermauer


Nichts währt ewig - und wenn sie komplett der Natur überlassen würde, dann wäre irgendwann die Klostermauer des ursprünglichen Fredelsloher Klosters wieder Teil eines Waldes. Die Erstbesiedler sind Flechten in verschiedenen Arten und Formen (je größer hier die Artenvielfalt, um so sauberer dürfte die Luft in der Umgebung sein); dann siedelt sich gerne die Mauerraute (Asplenium ruta-muraria) an, ein genügsamer Farn, auf dem Foto oben zu sehen. Die Blätter ähneln die der Weinraute, daher der Name, doch sind sie nicht aromatisch. Früher wurde die Mauerraute als Heil- und Zaubermittel gesammelt und zum Beispiel bei Schwellungen und Entzündungen angewendet. Für Gartenliebhaberinnen und Liebhaber, ich las dazu folgenden Satz auf einer Heilkräuterseite im Web: "Die Mauerraute ist schwierig in der Anzucht". Das wiederum empfinde ich nicht so, sondern es ist ganz einfach: Man nehme eine etwas über 800 Jahre alte Klostermauer, aus Rotsandstein geschichtet, der Rest ergibt sich von selbst.

Auch von selbst geht die weitere Besiedelung, es kommt, was Wind und Tiere so herantragen. So ziemlich immer dabei ist das Schöllkraut (Chelidonium majus):


Dass dieses Mohngewächs so häufig in Mauerritzen wächst, hat seinen Grund: Die ölhaltigen Samen haben ein eiweißhaltiges Anhängsel, und das ist begehrtes Futter für die Ameisen. Diese sammeln die Samen ein und bringen sie als Vorrat in ihren Bau. Ameisen sind wärmeliebend und bauen ihre Nester gerne in Lücken in durchwärmten Mauern.

Das Schöllkraut ist, wie die meisten Mohngewächse, alkaloidhaltig, und zählt zu den (milden) Giftpflanzen. Aus dem frischen Kraut, das einen gelben Milchsaft führt (der recht lange an den Fingern haften bleibt) lässt sich ein Wein ansetzen, der bei Gallenkoliken hilft. Mit getrocknetem Kraut geht das nicht mehr.

Doch auch größere Tiere als Ameisen helfen der Mauer dabei, sich dem Wald anzunähern:


In diesem Falle dürfte wohl das Eichhörnchen beteiligt gewesen sein, das im Spätsommer / Frühherbst immer in dem Haselstrauch bei uns vor der Alten Schule Fredelsloh zugange ist. Dieser große Haselstrauch ist rotblättrig, und so ist wohl die Herkunft klar. Doch auch andere Sträucher siedeln sich gerne an, wenn sie gelassen werden:


Eine Weigelie hat es geschafft, sich einen Platz an der Mauer zu sichern. Bei "Weigelie" muss ich immer schmunzeln, denn als ich noch in einer Baumschule als Verkaufsgärtner arbeitete, kam eine Kundin öfter, und wenn sie von dem genannten Strauch sprach sagte sie immer: "Weigele", und jedesmal, wenn ich eine Weigelie sehe, danke ich: Weigele". Das klingt ja auch nett.

In diesem Falle steht die Mutterpflanze gleich unterhalb an der Mauer. Interessant ist, dass deren Blüten wesentlich blasser ausfallen. Das mag vielleicht auch daran liegen, das der trockenwarme Standort der Mauer die Blütenfarbe intensiviert.

Wohl von Vögeln hierhergetragen wurde ein anderes Gehölz, das einzige Nadelgehölz mit roten Früchten, deren Fruchtfleisch süßlich schmeckt und das ungiftig den giftigen Kern umgibt, die Eibe:


 
Auf der Mauerkrone in der Nähe von Gebäuden kommt der Bewuchs dem Walde schon sehr nahe:


Hier haben sich Birken angesiedelt, deren Samen durch den Wind herangetragen wurden. Diese kommen an solchen Standorten recht häufig vor, wenn sie gelassen werden. Auch Holunder und sogar Eschen können zu finden sein, und in Bremen hatte ich auf einer Mauerkrone eine fruchtende rote Johannisbeere gesehen. Da machte sie ihrer Zugehörigkeit zu den Steinbrechgewächsen alle Ehre.

Apropos Bremen: Dort bot ich für die Volkshochschule Bremen einmal eine Mauerritzenexkursion an. Es ging darum, einmal zu schauen, was sich so in Fugenspalten, auf Abbruchmauern und in Mauerritzen alles so an Pflanzen ansammelt. Treffpunkt war die Endhaltestelle Gröpelingen, besagtes Depot. Als wir uns dort trafen, zwölf Personen, wurden wir als erstes unterhalb eines Lichtmastes eben eine ähnliche Zusammenstellung wie oben gewahr. Nur, dass da statt des Natternkopfes eine prächtige violett blühende Phönizische Königskerze wuchs.
Da standen nun zwölf Menschen um einen Peitschenmast mitten zwischen den an- und abfahrenden Straßenbahnen und schauten konzentriert nach auf den Boden. Die erstaunten Gesichter der Fahrgäste in den Bahnen waren köstlich. Noch Jahre später traf ich die eine oder den anderen Teilnehmer dieser Exlursion, und wir mussten bei der Erinnerung immer noch lächeln.

Das zeigt, dass Mauerritzen eine spannende Sache sein können. Und dass wir dort an die Vergänglichkeit gemahnt werden: "Marmor, Stein und Eisen bricht. . .", und die Pflanzen helfen dabei.

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