Dienstag, 17. September 2013

Hochzeitsfotos

Des abends, schon im Dunklen, wie es der Jahreszeit entspricht, noch ein Spaziergang "im Dorf". Bleibe ich doch hängen am Schaufenster eines Fotografen. Dort sind die Hochzeitsbilder ausgestellt, als Referenz für zukünftige Kundinnen und Kunden. Ich habe Zeit zum Verweilen und schaue mir die Hochzeitsfotos an: Wie dort die Männer, ganz in Besitzerstolz eingetaucht, vor ihren Frauen knien, oder auch, die Hände in den Taschen vergraben, sich ihrer Liebsten beiläufig zuwenden, mit einem Auge immer den Fotografen im Blick behaltend. Und auch die Frauen: Sehnsuchtsumflort ist der Blick retuschiert, die Wunschbilder des Fotografen an einer glücklichen Verbindung sind spürbar.

Ich möchte hier nicht die These ausbreiten, dass hier nur Klischees abgebildet sind. Auf ihre naive Art sind die Bilder echt. Hier wird mit einem Zeremoniell ein neuer Lebensabschnitt festgehalten, und das Idealtypische getreulich abgebildet. Daher stehe ich auch so lang vor diesem Schaufenster und staune.

Sind es doch Bilder, die der mir eigenen Welt so fremd sind. Sie drücken ewige Treue aus, "bis dass der Tod euch scheidet", sei es nun mit mehr kirchlichen oder, wie in unserem Stadtteil, mit mehr muslimischen Hintergrund. Sicher, die Bilder sind gestellt, die Gesten stereotyp, und doch scheinen Herzenswünsche daraus hervor. Das finde ich anrührend und auch auf eine Art mutig, in diesen so zerreißenden Zeiten noch solche Bünde einzugehen.

Mir selbst wurde das nicht geschenkt, und ich vermisse es auch nicht, ich lebe mein Leben mit dem Wechsel, welches es ausmachte, und doch bin ich jedes Mal dabei, mich zu ertappen, wenn ich liebe, zu wünschen, dass es dieses Mal Bestand hätte. Durch ein Ritual aber möchte ich das wohlweislich nicht untermauern.

Die andere Seite: Bei der Durchsicht der alten Fotoalben blicken mich meine Eltern aus ihrem Hochzeitsfoto an. Wieviel Hoffnung darin lag, und wieviel Sehnsucht, das vermag ich zu erspüren. Und doch: "Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang", wie Rainer Maria Rilke in den Duineser Elegien schrieb. Wie oft hatten wir Kinder uns gewünscht, dass sich unsere Eltern trennten, damit das Drama ein Ende nähme. 

Sie haben durchgehalten und blieben mehr als sechzig Jahre verheiratet, und am Ende schied sie wirklich der Tod, und mein übriggebliebener Vater hatte nichts Eiligeres zu tun, als hinterher zu sterben. Ich vermag da nicht zu richten. Ich wurde zwar nicht "bemuttert", doch bin ich versöhnt. Doch verankert in mir ist, dass ich diesen Weg niemals hätte gehen können. Es klingt für mich wie ein Märchen aus vergangenen Zeiten, diese Märchen, wo am Ende der Prinz immer die Prinzessin bekam, "und sie lebten glücklich bis an ihres Lebens Ende".

Nein, meine Eltern lebten nicht glücklich bis an. . ., sie sind zusammen geblieben, warum auch immer, und waren am Ende so aneinander gewöhnt, dass sich das Leben ohne den anderen sich nicht mehr vorstellen ließe. 

Einerseits habe ich große Achtung vor dieser Einstellung, andereseits empfinde ich diese Abschottung ins Private, diese Aufrechterhaltung eines Bildes einer heilen Welt nach außen, unter der wir Kinder so sehr litten, als, gelinde gesagt, als gruselig. Ich möchte nicht in einer unglücklichen Zweisamkeit gefangen sein. Meine Sehnsucht zielt auf größere Gemeinschaften, in denen ich leben und alt werden kann. Zu eng kann ganz schnell das Paar werden.

Nichtsdestotrotz liebe ich, und es war immer Liebe darin, wenn ich mich mit einer Frau zusammentat. Das vergesse ich auch trotz Trennung nicht. Das lasse ich nicht von dem überlagern, was später geschah. In dieser Hinsicht bin ich treu "bis dass der Tod euch scheidet".

Ich mag nicht darüber urteilen, welcher Weg nun der Richtige ist. Am Ende bleiben immer nur Wahrhaftigkeit und Liebe.




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