Wie sollte ein Mensch mit Mitgefühl an dieser Welt nicht leiden?
In welcher Enklave sich aufhalten, um all das Geschehen nicht zu erspüren?
Sicher, es gibt Orte jenseits des Leides, wohl dem, der sie aufzusuchen vermag.
Dort lässt sich die Kraft schöpfen, um weiterhin zu tragen.
Doch schon das Benennen öffnet die Türen dem Zwiespalt.
Ein Wort verlieren kann bedeuten, den Ort verlieren.
Wie wundersam sich zwischen all den schrillen Farben der werbenden Plakate
das sanfte Bunt des Herbstlaubes ausmacht.
Und wenn dieses geläuterte späte Licht der Sonne darauf scheint,
wie warm kann es um das Herz werden!
Dann kommen die Erinnerungen eines schon einmal Dagewesenen,
ganz unvermittelt, und unversehens beugt sich das Haupt vor der Schönheit.
Wie sollte ein Mensch mit Mitgefühl an dieser Welt nicht leiden?
In welcher Enklave sich aufhalten, um all das Geschehen nicht zu erspüren?
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Eher denn Gärtner bin ich Sammler, vielleicht auch Jäger (was das Angeln
betrifft), und eine gute Freundin meinte einmal, ich hätte eine
Indianerseele (und nicht nur sie, diesen Satz hörte ich mehrmals in
meinem Leben). Sei es, wie es sei, doch vielleicht ein Hinweis auf mein
unzeitgemäßes Sein, auf mein Leiden an der Welt, wie sie sich heute
darstellt.
Nicht viele aus meinem Freundeskreis teilen diese
Passionen, vor allen das stundenlange Einsammeln dieser kleinen runden
Dinger, den Beeren, gar noch gebückt, wie bei den Waldblaubeeren, das
stößt auf Unverständnis.
Ich selber bin dann ganz Wahrnehmung,
bin auf eine Art eins mit mir selber, ruhe in meiner alturalten
Indianerseele, bin auf geheimnisvolle Art auch eins mit der Umgebung, und manchmal begegne ich auch den seltsamen Seelenwesen der Landschaft,
des Waldes, spürbar sind sie dann um mich, und eine bestimmte Art
Helligkeit liegt über allen, und das innere Geplapper der Gedanken
verebbt, und es beginnt eine innere Zwiesprache.
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Als mein Sohn zweieinhalb Jahre alt war, er konnte sich schon
ganz gut verbal verständigen (und sich mit Hühnern unterhalten, aber das
ist eine andere Geschichte), kamen wir auf dem morgendlichen Gang in
die Krabbelgruppe auf dem Weg durch einen Park an einem gefällten Baum
vorbei, einer ehmals mächtigen Weide. Diese fiel übrigens nicht einem
Pilzbefall oder einem anderen Übel zum Opfer, welches eine Fällung aus
Gefährdungsgründen notwenig machte, sondern dem Renommee eines
Landschaftsarchitekten, welcher merkte, dass dieser Baum seine
"Sichtachsen" bei der Neugestaltung der Anlage störe.
Mein Sohn
also sah diesen gefällten Riesen am Boden, und sein Antlitz wurde
unendlich traurig, und er fragte mich: "Warum?". Ich konnte ihm nur
antworten, dass ich keine Antwort wüsste, und traurig gingen wir weiter.
(Zu
den Hühnergesprächen: Wir waren mit der Krabbelgruppe auf einem
Pferdehof, wo sich auch ein umzäuntes Hühnergehege befand. Als ich
meinen Sohn vermisste und suchte, fand ich ihn sitzend vor dem Zaun des
Geheges, die Hühner auf der anderen Seite. Ich schaute zu: Es war
sichtlich etwas im Gange, und eine wundersame Atmosphäre über allem. Die
Hühner waren meinem Sohn sichtlich zugewandt. "Ich spreche mit ihnen",
war seine Antwort auf meine Frage, was er da tue. "Und, was sagen sie?".
"Sie wollen da raus.".
Ich bin heute noch davon überzeugt, dass da ein echtes Gespräch stattgefunden hat, wie auch immer.)
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"Sie (die Seminolen, ein nordamerikanischer Indianerstamm) scheinen frei
von Wünschen und Begehren zu sein. Kein grausamer Feind zum Fürchten;
nichts, das ihnen Beunruhigung bereiten könnte, außer den allmählich
zunehmenden Übergriffen der Weißen. Solcherart sich behauptend und
ungestört, erscheinen sie munter und frei wie die Vögel in der Luft, und
wie diese fröhlich und tatendurstig, harmonisch und lärmend. Der
Anblick, die Bewegungen und das Verhalten der Seminolen stellen das
meist beeindruckende Bild von Glücklichsein in diesem Leben dar;
Vergnügen, Lebenssinn, Liebe und Freundschaft, ohne Tücke oder
Erregungszustände, scheinen ihnen angeboren oder in ihrer lebendigen
Geisteshaltung vorherrschend zu sein, denn sie verlassen sie erst mit
dem letzten Atemzug."
William Bertram, 1739 - 1823, "Reisen durch Nord- und Süd-Carolina, Georgia, Ost- und West-Florida, das Cherokee Land etc.."
Was
wäre gewesen wenn ich als "Indianerseele" dort geboren wäre und nicht
hier und jetzt? Was hätte mein Sohn dort an Empfindungsreichtum, der ihm
innewohnte behalten können? Müßig wohl zu fragen.
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Schon bald
durfte mein Sohn erkennen, dass die Welt anders ist, dass nicht alle
Wesen ihm wohlgesonnen sind. Ich weiß noch, wie erstaunt und erschrocken
er war, als das erste Mal ein Hund nach ihm schnappte, dem er so
vertrauensvoll entgegen ging. Später dann musste er lernen, dass auch
Menschen "schnappen" können. Er lernte, sich in diese Welt, so wie sie
ist, einzupassen. Doch noch heute blitzt bei ihm manchmal eine Trauer
auf, ähnlich der, die er wohl empfand, als er des gefällten Baumes
ansichtig wurde.
Doch in seiner frühen Unbefangenheit im Umgang mit der Welt hatte er mich zu folgendem Gedicht inspiriert:
Dingefinderkinder sind die wilden Kleinen,
die mit großen Augen staunend durch die Welt spazieren.
Verzückt und ganz mit sich im Reinen
können sie sich in große Kleinigkeiten ganz verlieren.
Dann stehen sie, als wären sie auf einem anderen Planeten,
eine wundersame feengleiche Aura umgibt die Gegenwart.
Still verharrend, wie in ungesprochenen Gebeten,
staunen sie über einen bunten Kiesel auf dem Pfad.
Manchmal, wenn du den Dingefinderkindern nahe bist,
wirst du mit einbezogen in ihr zeitloses Gewahrsein.
Du tauchst in ihre Welt ein, die so anders ist,
nimmst Teil an ihrem seelenvollen Dasein.
Dann glänzt auch dir in jedem Kiesel eine ganze Welt,
ein ganzes Weltall gar, ein Orbit ohne Worte.
Es ist, als ob ein großer Engel dich in seinen Händen hält,
der dich vertraut mit einbezieht in unbekannte Orte.
Da springt in diese Anderswelt ein Kaninchen querfeldein.
Von einem Augenblick zum andern vergisst das Kind den Kieselstein,
und dann geht’s sturzbeglückt und lachend dem Kaninchen hinterdrein.
Wie aus einem Traume aufgewacht, stimmst du in dieses Lachen ein.