Freitag, 13. September 2013

Die Harmonie der Pflanzen

Dass sich in meinem Leben etwas geändert hat, dass sich meine Prioritäten und Perspektiven verändert haben, das wurde mir letztens bewusst, als ich bemerkte, dass sich mein Leseverhalten gewandelt hat. In jungen Jahren las ich fast alles, was mir vor die Nase kam, so dass eine meiner Freundinnen sich beklagte: "Du und deine kleinen schwarzen Buchstaben!" Ich machte da kaum einen Unterschied zwischen hochphilosophischen Werken, Krimis, Dichtungen und anderem. Heute nehme ich das so wahr, dass ich mittels der Bücher auch ein Stück weit aus der Welt geflüchtet bin.

Heute lese ich weitaus weniger, auch ist mein Buchbestand arg geschrumpft. Keine Krimis, Thriller und Fantasyromane mehr, kaum mehr Erzählungen und ähnliches, einiges an Nachschlagewerken über Küche, Kräuter, Garten. Doch gibt es einige Bücher, die ich immer wieder gerne zur Hand nehme, wenn zum Beispiel das Regenwetter mich im Hause festhält. Es sind dieses Bücher, welche mir auf ihre Art die Welt näher bringen.

Eines dieser Bücher trägt den Titel Harmonia Plantarum und ist von Hans Kayser geschrieben. Kayser nahm die Lehren des Pythagoras auf und modernisierte sie zu einem harmonikalen Weltbild. 1932 flüchtete er vor den Nazis nach Bern, unterichtete in der Schweiz als Privatgelehrter und schrieb seine Grundlagenwerke wie Der hörende Mensch.

Im Buch Harmonia Plantarum hat er sich ganz den Pflanzen und deren harmonikale Verhältnisse im Wachsen gewidmet. Mir begegnet dort eine etwas altmodisch anmutende Sprache, die sich Zeit lässt im sprachlichen Ausmalen der zu schildernden Gegenstände des Denkens. So ganz anders als die hektischen Worte, die schnell geschriebenen Sätze zum schnellen Lesen im Zeitalter des Internets. Eine ganz eigene Welt zum Eintauchen eröffnet sich in diesem Buch, und wenn ich es dann wieder aus der Hand lege und in den Garten gehe, dann sehe ich meine pflanzlichen Mitwesen mit ganz anderen Augen. Ein echter Augenöffner. Und ein Ohrenöffner dazu, denn das harmonikale Weltbild befasst sich mit den hörbaren Obertonreihen und deren Darstellung. 

Dass es nicht nur zum Lesen und zum Nachvollziehen und Verstehen Zeit braucht, sondern auch zum Forschen und Aufzeigen, beschreibt Kayser selbst: "Hierzu gehören vor allen genaue Untersuchungen der zeitlichen Daten der Wachstumsvorgänge und der innerhalb dieser auftretenden Rhythmik, Periodizität und Kontrapunktik der einzelnen Wachstumsmomente untereinander. Diese Untersuchungen erfordern, da sie nur an lebenden Objekten anzustellen sind  . . .  viel Zeit, also eine langjährige Versenkung auf ein einziges Problem  -  eine ebenso schöne wie interessante Aufgabe für zukünftige Harmoniker."

Das mutet wie aus einer versunkenen Zeit an, und das ist es wohl auch. Es scheint etwas "Nutzloses" zu sein, sich mit dem harmonikalen Urgrund des Seins und des Pflanzenseins zu beschäftigen. Doch der Gärtner in mir sieht es anders: Das Wissen um einen harmonikalen Aufbau des Pflanzenlebens und der umgebenden Mitwelr und das erweiterte Wahrnehmen desselben lässt die Seele ganz weit werden. Bin ich doch auch als Mensch ein Wesen, in dem das gleiche wirkt, verbunden mit allen Wesen um mich durch eine geheime Musik.

Hans Kayser muss das wohl ähnlich empfunden haben, schreibt er doch: "Nicht mit dem Gefühl allein treten wir vor die Pflanze hin  -  was jeder ohnehin tut, wenn er in der Natur sich der Schönheit der Blumen und Gewächse hingibt, auch nicht mit dem Verstand, dem Wissen und irgendwelchem Interesse allein  -  was seit alters die Gepflogenheit der Wissenschaft ist. Sondern Gefühl und Wissen, Empfinden und Denken verbinden sich in der harmonikalen Wertform zu einem einheitlichen Erkenntnisakt. Wir steigen hinab zu den Müttern in uns, und diese geben unserem Bewusstsein eine Antwort mit, eine Verheißung für die stille Welt der Pflanzen, dass wir diese Welt begreifen, verstehen und lieben, weil sie ein Teil des innersten Wesen von uns selbst ist."






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