Freitag, 23. August 2013

Steinzeit

"In bestimmten Gegenden der Welt war das Neolithikum lange ein stabiler Teil der menschlichen Erfahrung. Es repräsentierte acht- bis zehntausend Jahre relativen Wohlstands, Stabilität, ein hohes Maß an Demokratie, Gleichstellung von Mann und Frau - eine Epoche, in der alle unsere Gemüsepflanzen und Tiere domestiziert wurden und Weber- und Töpfertechniken aufkamen.  . . .   Aus dieser Perspektive also ist die Zivilisation jung, Schreiben ist noch jünger, und Schreiben als etwas, das Einfluss hat auf das Leben vieler Menschen, ist erst während der letzten drei oder vier Jahrhunderte aufgekommen.  . . .  Dahinter liegen Jahrtausende, in denen Menschen ihre Sinne schärften und entwickelten und sich selbst kennen lernten."

Aus: Gary Snyder "Landschaften des Bewusstseins  -  Gespräche und Reden", München 1984

Wie jung denn nun dagegen ist unsere Welt des Internets, einer Kommunikation des ununterbrochenen Schreibens, der chats und der Diskussionsforen, der digitalen social networks, der websites und blogs? 1983 wohnte ich mit einem Freund zusammen, der hatte einen dieser Commodore-Computer, lernte programmieren und wollte, dass ich diese dämlichen Spiele spielte mit ihm, welche mich immer nur kurz fesselten. "Das ist die Zukunft" war sein Credo. Wie sollte er recht behalten.

Ich spüre immer wieder nach einer Zeit des intensiven Verkehrs in den Weiten des www und in der relativen Enge eines Netzwerkes wie zum Beispiel Facebook, wie ich gefangen werde von den Strömen der Buchstaben, von den Hinweisen und links, von dem Wunsch, zu ergründen und in aller Schnelle zu antworten. Ja, Schnelligkeit ist die Grundlage dessen.

Dann möchte ich mich wieder zurück ziehen, oder, anders, es zieht mich zurück; hinein in die Stille der Wälder und Gärten, in die wortlose Kommunikation mit den Pflanzen. Es zieht mich zurück zu den realen Menschen, zu der Feuerstelle und den Geschichten, welchen es zu lauschen gilt und welche erzählt werden möchten. Zum Duft der Speisen, zu den Berührungen der Körper. 

"Mir ist langweilig", sagt da mein Sohn, zwälf Jahre alt, fast dreizehn, manchmal schaut schon der Jüngling, der junge Mann durch das vertraute Antlitz des Kindes. Ja, das ist alles nicht so schnell wie die Computerspiele, welche er so gerne und stundenlang mit seinen Freunden spielt. Weder das Angeln noch der Garten vermag ihn da mehr zu fesseln, noch das einfache Beisammensein und Erzählen.

Auch meine Eltern wurden von Geschwindigkeiten überrolt, als ich zum Beispiel zur Konfirmation einen dieser ersten Kasettenrecorder geschenkt bekam, eine Weltneuheit. Wie stellte sich dieses Gerät schnell in den Mittelpunkt des Lebens von mir und meinen Freunden. Zum einen konnten wir unsere (für die Ohren unserer Eltern schreckliche) Musik überall mit hin nehmen, hatten wir unseren eigenen Soundtrack immer dabei, begannen die Welt als Film zu sehen, der zu unserer Musik lief.

Zum anderen konnten wir selbstgespielte Musik sofort aufnehmen, konnten sie vervielfältigen, konnten unsere Musik verbreiten, ohne Schallplatten aufzunehmen, ohne "business". Revolutionär für uns. Freiheit!

Heut ist das alles noch einfacher geworden. Und so schwellen die Zahlen der Videos, Blogs, der Klänge und Worte an, expotentiell. Dazu die Möglichkeiten, in virtuelle Welten einzutauchen, welche den Geist so gefangen nehmen wie weiland es die Romane taten. Für meinen Sohn ist das alles genau so normal, wie für mich das Aufnehmen von Kasetten wurde. 

Überraschend ist die Geschwindigkeit, in der das alles geschieht. Da kommt es mir dann manchesmal so vor, als wäre das eine Welle, welche sich in Kürze überschlägt, um am Ufer auszulaufen. Doch vielleicht auch ist das nur ein Wunschdenken, und wenn mein Sohn Mitte fünfzig ist, wird er ebenso erstaunt auf die Entwicklungen zurück blicken, wie ich es jetzt tu.

Nichtsdestotrotz: Der Wald lebt in einer anderen Geschwindigkeit, er ist Jahrmillionen alt, und auch die Gärten leben in einer anderen Zeit. Ich komme in das Neolithikum der Menschheit zurück im einfachen Säen und Ernten, im Sammeln und Zubereiten. Ich begebe mich da in einen alt-uralten Strom der Menschheit, älter als alles Schriftwerk, die Geschichten der Ahnen erzählen davon. 

Ich möchte hier nicht eine Zeit gegen die andere ausspielen. Es ist so wie es ist. Ich aber freue mich jedes Mal, wenn ich dorthin für eine Zeit zurück kehren kann. Meine Seele wird dann ganz weit.   



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6 Kommentare:

  1. Kassettenrecorder. Ich hatte sogar einen mit Chromdyoxidkassetten. Klasse Text.
    LG vonner Grete

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    1. :-) Ja, und wer diese Kassetten hatte, brauchte auch immer wieder einen Bleistift ;-)

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  2. Ja. Deine Sehnsucht verstehe ich gut. Vor gar nicht so langer Zeit (beginnend vor 12/13 Jahre) habe ich mitten im Wald gelebt. Fast ohne Strom (nur ein bisschen Solarstrom) und vier Jahre lang ohne Radio, Fernsehen und Internet (das ich eh noch nicht kannte) ... schon die Anschaffung eines Fernsehers hat das wunderbar natürliche Leben mitten in der Natur extrem verändert ...
    Heute sitze ich selbstverständlich "mitten in diesem Internet" und bin eigentlich immer noch viel zu langsam und gründlich dafür ...

    Supertext!

    lieben Gruß
    Brigitta

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    1. Ich habe dieses Label "Die anderen Seiten" auf meinem Blog eröffnet, um einmal ausschweifend vor mich hin sinnieren zu können. So vieles webt und lebt in mir, was nicht in twitterkompatiblen Häppchen ausgedrückt werden kann.

      Meine Freude ist sehr groß, dass diese so "langen" Texte so gut angenommen werden. Ich danke Dir sehr, liebe Brigitta

      Auch ich lebte eine Zeit "Janz weit draußen", und durfte dort viel lernen,

      liebe Grüße, Jörg

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  3. Lieber Joerg!

    Schon immer gab es Zeiten, in denen Kindern und Jugendlichen langweilig war. Das einzige was wirklich hilft, Ist es auszuhalten. Erst dann, wenn wir bereit sind nicht mehr den Bespassungsfaktor aufzunehmen, Langeweile langanhaelt, kannEntwicklung im menschlichen Geist beginnen, Fantasie und Inspiration ermoeglichen und in die Tat kommen lassen.

    Dir herzliche Gruesse
    Ina Schulze

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  4. Gary Snyder, der wundervolle amerikanische Dichter, beschreibt immer wieder, wie langweilig Meditation sein kann. Das einfache Leben ist wohl langweilig. Eintönig. Doch wer das Obertonsingen kennt, weiß, was für eine Vielfalt in einem Ton stecken kann,

    liebe Grüße, Jörg

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