Sonntag, 25. August 2013

Die Melancholie der Erntezeit

Gestern viel es mir auf: Die Welt ist stiller geworden. Ich saß abends mit Gesellschaft auf der Banke, wie so oft nach Gartenarbeitstagen, und da bemerkte ich es: Die Singdrossel sang nicht mehr zur gewohnten Zeit, und auch die anderen kleinen Sänger hielten stille. So wehte mich das Gefühl von Herbst an, ganz unvermittelt, denn der Abend war noch sommerlich und warm.

Wir hatten die Zwiebeln geerntet den Tag über, und auch einige der Kartoffeln und eine große Schüssel Brombeeren. Darüber hinaus mussten wir, um an die Kartoffeln zu gelangen und die Zwiebeln, einiges an Grünzeug ausrupfen, besonders die Zaunwinde hatte in den Tagen, als wir außerhalb waren, die Beete kreuz und quer durchzogen. Ich nahm es mit Humor, das Wachsen der Krauthügel, und sah es als Ernte von Gründünger zum Mulchen, den ich auf die Beete im Gemeinschaftsgarten ausbringen werde, die nächstes Jahr kultiviert werden sollen. 

Es war schön, das Ernten, und die Freude daran entsprang nicht nur dem Wissen, dass die Kartoffelpreise dieses Jahr wieder einmal fulminant angestiegen sind. Doch als wir abends dann auf der Banke saßen, etwas müd vom Tagewerk, und die Dämmerung zeigte sich ohne die bis dahin gewöhnten Töne, ach, da wurde mir doch melancholisch zumut. Hatten doch vor kurzen noch die Grasmücken unter dem Dach ihr Nest gebaut und das Jungvolk aufgezogen, das war ein qurilig-lebendiges Hin- und Herfliegen; hatte doch die Singdrossel jeden Abend sich niedergelassen auf dem hölzernen Strommast und ihre neuesten Triller ausprobiert. Immer wieder war etwas Neues in ihrem Lied zu entdecken. Waren die Abende doch ganz von Gegenwart durchtränkt, ohne einen Gedanken an die Zukunft. Das Verweilen ganz in der Mitte des Sommers, so wie in der Mitte des Tages, wenn die Sonne steil oben steht, die Schatten unter den Füßen verschwinden. Schattenloses Sein in der Mitte allen Lebens.

"Und beim letzten Hahnenschrei / Die Amsel singt: Vorbei, vorbei." So sentimal hatte ich in jungen Dichterjahren eine ähnliche Stimmung beschrieben. Doch heut singt nicht einmal mehr die Amsel. Durch unsere Fahrt ins Waldviertel, welche acht Tage in Anspruch nahm, haben wir den Übergang verloren. Wir fuhren in der Hitze des Hochsommers und kamen wieder in der milderen Wärme des Erntesommers. Uns ist die Zeit dazwischen abhanden gekommen. Dadurch ist der Übergang von einem zum anderen so abrupt spürbar.

Heute ist Sonntag, und gelassen ziehen wir in den Tag hinein. Die Falter flügeln, die ersten Admirale sind gesichtet worden, diese Saftlutscher des Spätsommers, die einher gehen mit den fallenden Zwetschen. Die ersten Reineclauden konnten probiert und für gut befunden werden. Eigenltich ist alles im Lot.

Wenn da nicht diese leise Melancholie wäre. Der Anflug von Trauer, dass die Unbeschwertheit des Hochsommers dem beginnenden Abstieg din die dunkle Zeit des Jahres Platz gemacht hat. Spürbar. 

Früher oder später wird es mir jedes Jahr bewusst, durch das Reisegeschehen kam es dieses Jahr wohl etwas unvermittelt. Was mir fehlt ist das "Lernen wir Abschied nehmen, im Abschied sind wir uns am Nächsten". Dieses fast schmerzhafte Nahesein im Abschied, das fehlt mir. So schlich sich der Hochsommer einfach fort, und ich konnte ihm nicht einmal nachwinken.

Bald zeigen sich die frühen Nebel des Indianersommers, des Spätsommers. Die Nebel unterstreichen die Melancholie des Abschieds, doch die abendlichen Kartoffelfeuer gleichen das mit Duft und Rauch wieder aus. Gesellig wird beisammen gesessen und die Ernte gefeiert. Diese Zeit beginnt jetzt. 



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