Freitag, 18. Januar 2013

Aus Dingefinders Büchergarten: Graswurzel & Co

Graswurzelküche

Buch mit deutlichen Gebrauchsspuren
Erinnerungen: Als wir Hamburger Stadtgewächse 1983 "aufs Land" zogen, nach Elisabethfehn in Ostfriesland, um "auszusteigen", da betraten wir noch Neuland. Wir konnten ein Fehnhaus und drei Hektar Land pachten. Acht Erwachsene und drei Kinder waren wir. So etwas hat man damals "Landkommune" genannt, oder, zahmer "Land-WG", und war unglaublich hip. Es war eine Zeit, wo Basilikum der absolute Insidertipp war (ich erinnere mich noch, wie das Rezept für Pesto Mund zu Mund weitergegeben wurde. Pesto war ein Gesundheitselixier, nicht weniger), Hokaidokürbis eine Rarität, die bestaunt wurde, und wo ich mich fragte, was denn da für ein merkwürdig riechendes Gewächs von selbst aus meinem Gartenboden spross. Koriander war es. 

Heute ist es ganz einfach: Wenn ich etwas nicht weiß, oder wenn etwas Neues (wenn es das überhaupt noch gibt) gefunden wird, für alles ist das Net zuständig, und wer zu googeln versteht, der oder dem liegt das Wissen der Welt zu Füßen. Kaum vorstellbar, dass es Zeiten gab, wo alles mühsam in Bibliotheken recherchiert werden musste, und so viel altes Wissen schien komplett verschwunden.

Auch gibt es heute Kräuterbücher ohne Ende, alle reich und bunt bebildert, jedes Jahr wird Altbekanntes in neuer Verpackung und Aufmachung angeboten, und es beschleicht mich immer wieder das Gefühl, dass da einer vom anderen abschreibt. Für mich und viele andere Stadtflüchtlinge gab es ein Kompendium, welches in keinem Bücherbestand einer "Landkommune" fehlte: Die von Winfried Günther geschriebene Graswurzelküche  -  Ungewöhnliche Rezepte und Rezepturen, die 1980 im Verlag Bruno Martin erschien. 

Darin befinden sich wirklich ungewöhnliche Rezepte, und viele davon sind auch heute noch nicht in den Kräuterbüchern zu finden. Es gibt zum Beispiel Andorn-Bonbons und Bärenklau-Wein, Birkenmeth und Holzkohlezahnpulver, Fermentierten Huflattichtabak und Vogelmieresalbe. Gegen alles ist ein Kraut gewachsen, und das Büchlein kommt ganz ohne Hochglanzfotos aus. Die meisten Rezepte sind probat und nachvollziehbar beschrieben. Es ist immer noch ein Handbuch, das von der Praxistauglichkeit her einen Meter Regallänge Kräuterbücher ersetzen kann.

Kräutertöpfe

Ein netter Ideengeber ist das Buch von Effie Roman und Sue Hawkey Kräuter für die Gesundheit , das 1996 in deutscher Übersetzung bei Franckh-Kosmos erschien. Dem banalem Titel folgt ein ebenso banaler wie nichtssagender und überflüssiger Untertitel "fit, aktiv & schön mit Heilkräutern". Doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Das Buch hat es "in sich". Die Autorinnen sind auf die tolle Idee gekommen, Kräutertöpfe zusammen zu stellen. Nicht nach ästhetischen Gesichtspunktenh, sondern nach Indikation. 

Zuerst wird gut beschrieben, wie man Kräuter in Töpfe und Schalen pflanzt und was dabei zu beachten ist, und danach gibt es Seite für Seite eine neue Anregung, immer gut illustriert. Da gibt es den Kräutertopf mit allem, was gegen Verstopfung hilft, den Kopfwehtopf und den Topf für die stillende Mutter, und und und. . . Als ich das Buch das erste Mal in der Hand hielt, blätterte ich und staunte.

34 Gesundheitstöpfe mit verschiedenen Kräutern gegen häufige Beschwerden gibt es. Ich habe schon manches Mal solch einen Kräutertopf zusammen gestellt und mit einem "Beipackzettel" versehen als individuelles Geschenk gereicht. 

Kritisch angemerkt sei, dass nicht alle Zusammenstellungen den Pflanzen gerecht werden. Einige Male gibt es Topfpartnerschaften, die auf Dauer sicher nicht gut gehen werden. Da ist doch einiges an Gärtnerwissen von nöten. Jedoch ist die Idee bestechend und das Buch enthält viele gute Anregungen.

Tafelfreuden

Dieses Buch bekam ich einmal zum Geburtstag geschenkt. Es ist ein ähnlich faszinierender Anreger wie das Buch über die Kräutertöpfe. Geschrieben wurde es von Helmut Oestring und es hat den Tirel Der Geist über den Tellern  -  Inszenierte Mahlzeiten.  Erschienen ist es 1992 in der Reihe "Alltag & Phantasie" im Moby Dick - Verlag.

"Alltag & Phantasie", treffender hätte man es kaum ausdrücken können. Nur, dass in diesem Falle vielleicht "Festtag" der richtige Terminus gewesen wäre. Aus dem Vorwort: "Essen ist mehr als nur die Beseitigung des Hungers durch Aufnahme von Nahrungsmitteln. Bekanntlich isst das Auge mit. Wird man sich dessen bewusst, wird das Essen zum Ereignis. Man entwickelt seine eigene Kultur und inszeniert ein Fest der Sinne. Darum geht es in diesem Buch" Und: "Der ´Geist über den Tellern` sucht sich seine eigenen Wege. Er ist immer gegenwärtig, sein Erscheinen lässt sich allerdings nicht erzwingen. Er zeigt sich hin und wieder, indem er uns durch sein Ereignen berührt. Dem sich zu öffnen, wollen die inszenierten Mahlzeiten dieses Buches dienen."

Darauf folgt ein Kompendium für anregende kulinarische Tage und Abende für sich und Freundinnen und Freunde. Es ist ein geselliges Buch, denn ohne Gäste würden die inszenierten Mahlzeiten nicht funktionieren. Zum Beispiel "das essbare Echo": "Neulich war ich zum Essen eingeladen. Jetzt revanchiere ich mich mit einem kulinarischen Echo, das eine Variation des letzten Essens darstellt".

Da gibt es die "Curry-Werkstadt", ein "Knödelsymposium", den "Frühjahrsputz", die "Entdeckung der Langsamkeit", ein "Essen in weiß" oder "Ein Tag für Erik Satie". Zig Anregungen, welche die Phantasie beflügeln, es doch einmal mit einer eigenen Inszenierung zu versuchen. Grandios!

Das Buch hat mich unter anderem auch auf die Idee gebracht, die Gäste eines meiner runden Geburtstage einmal anders einzuladen. Dass jeder etwas zu Essen mitbringen sollte, war mir klar. Um dem Vorzubeugen, dass da dann wieder drei Nudelsalate und zwei Bauernsalate auf dem Buffett stehen, stellte ich mir mein Wunschbuffett zusammen. Jede/r meiner Gäste erhielt dann eine Einladungskarte mit einem Rezept. Bei x wusste ich um die Begrenztheit seiner Kochkünste, er bekam den Auftrag, ein Tsaziki herzustellen, meiner Chefin hatte ich die fiesen und aufwändigen Bällchen mit Huhn aufgetragen usw. 

Das Ergebnis war Spitze. Alle Gäste, die aus verschiedenen Zusammenhängen stammten, und sich untereinander nicht alle kannten, waren sofort im Gespräch mit einander. "Das hast Du gekochst? Wie ist den das Rezept" usw. . .  Ich habe es seitdem einige Male wiederholt. Mit ähnlichem Ergebnis. Und das Buffett war immer lecker.

















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