Der Dingefinder, sein Sohn und die Entdeckung der Zeithaberin
![]() |
Eingang zu Fockes Garten in Bremen. Foto: Jörg Krüger |
Auf
der Suche nach einem vierblättrigen Kleeblatt für eine liebe
Freundin hörte ich von meinem damals fünf Jahre alten Sohn folgendes: „Papa, ich finde keines!“ (Während er
angestrengt auf den Boden starrend durchs Gras stapfte) „Eigentlich
kann man vierblättrige Kleeblätter gar nicht suchen, man kann sie
nur
finden.“
Fernsehsprecher:
„Das unendliche All. . .“, Dingefinders Sohn (vier Jahre alt):
„Alle Alle sind unendlich.“ So fand ich die Weisheit, ohne
Löffel.
Was
tut ein Dingefinder?
Er
geht. Er leugnet die Herkunft des Menschen von den Sammlerinnen und
Jägern nicht und empfindet das Erstellen von Pyramiden,
Schnellstraßen und Wolkenkratzern nicht als ein Zeichen von
Hochkultur. Sammlerinnen und Jäger hinterließen kaum Spuren.
Der
männliche Dingefinder findet seine weibliche Seite, die Zeithaberin.
Das wird sein erster Fund. Er wird zum Anbeter der Göttin der
kleinen Dinge und findet weiteres. Was er nicht findet: Sich selbst
oder das Gesetz der großen Wahrheit oder „den Weg“ oder . . .
Ein
jedes Ding findet sich zur rechten Zeit am rechten Ort:
„Manchmal
bin ich nur ein Sänger
doch
was wollte ich denn mehr?
Ich
bin dann wie ein Schmetterling
Außen
bunt und innen leer.“
So
finden sich zum Beispiel Lieder. Es finden sich Bilder in Wolken und
Winke in Baumkronen. Ein Dingefinder findet immer den richtigen Weg.
Der richtige Weg ist der, auf dem er das Richtige findet.
Wie wird jemand Dingefinder?
Dingefinder wird man nicht. Plötzlich ist man es. Du gehst des morgens sinnierend deine gewohnten Pfade. Zur Arbeit, Morgenspaziergang. Und da findest du zum Beispiel eine wundervoll gemaserte Kastanie frisch vom Baum. Dann findest du vier abgebrannte Streichhölzer. Schließlich noch zwei kleine, dicke Eicheln und vier Eichelhütchen. Und eh du dich versiehst, sitzt du am Wegesrand in der Sonne, zückst dein Taschenmesser und bastelst dir ein Fabeltier. Den Esel von den Bremer Stadtmusikanten. Das Mondenkalb. Und schon kommst du zu spät irgendwohin. Oder gar nicht. Deine Freiheit beginnt sich auszuweiten.
Nach
einiger Zeit beginnst du damit, das Finden der kleinen Dinge zu
kultivieren. Und siehe da: überall lauern kleine Mitbringsel auf
dich: Sternchen in verschiedenen Größen und aus verschiedenen
Materialien, Eichelhäherfedern, bunte Steine. Ich habe eine Zeit
lang andauernd Fahrradklingeldeckel gefunden. Immer wieder
Fahrradklingeldeckel. Bis ich mir ein Fahrradklingeldeckelxylophon
bauen konnte.
Schließlich
merkst du, dass das „ziellose“ Umherstreifen und Dingefinden
gepflegt sein will. Dass du Zeit brauchst. Und du siehst immer mehr
Tätigkeiten und Bindungen, die dir die Zeit nehmen. Wenn du dich der
Zeithabe intensiv hingibst, wirst du irgendwann deine Zeithaberin
finden, oder deinen Zeithaber. Je näher du deiner Zeithaberin
kommst, um so mehr Dinge wirst du finden, die dir den Weg zu ihr
zeigen. Wenn du deine Zeithaberin gefunden hast, seit ihr ein schönes
Paar: der Dingefinder und die Zeithaberin. Es ist, als würdest du
eine andere Welt betreten.
Ist
es jeder und jedem möglich, Dingefinderin oder Dingefinder sein
zu können?
Wie
kann jemand etwas werden, das nie geworden sein kann? Kann eine
Hyazinthe beschließen eine Hyazinthe zu werden? Der Ursprung der
Menschheit ist das Dingefinden. Noch einmal: Ohne Zeithabe kein
Dingefind. Eine Lebensentscheidung. (Mein Sohn ist in dieser Hinsicht
der Meinung, man muss nur zum richtigen Zeitpunkt auf den Boden
blicken, alles weitere wird sich finden).
Viel
Spaß beim Finden des Zeithabers, der Zeithaberin und beim
Dingefinden!
Dingefinder können auch Menschenfinder werden. Wenn sie sich Zeit für Gespräche nehmen. Und schlußendlich eine Gemeinschaft bilden, in der mehr Hände das gleiche Tagwerk viel schneller erledigen können als einer allein. Und mit viel mehr Spass und Freude. Ich bin eher ein Menschenfinder. Danke für diesen wunderbaren Artikel!
AntwortenLöschenLiebe Britta, das sehe ich exakt genauso. Daher gibt es hier auch den Gemeinschaftsgarten rund um das Atelier Laubenpiep, wo sich mehr und mehr die Menschen treffen, und die Salons, welche um uns entstehen, da treffen wir uns und tragen unsere Texte vor und musizieren und schlemmen und/oder lauschen einfach nur. Darüber werde ich demnächszt mehr berichten. Es gibt eine reale Welt neben der virtuellen. Und die ist wunderschön!
LöschenLiebe Grüße, Jörg
Herzlichen Dank. Gibt es eigentlich auch den Gedankenfinder ? Wenn ja, dann, glaube ich, bin ich einer...
AntwortenLöschenDieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
LöschenVielleicht finden die Gedanken ja auch uns?
AntwortenLöschenLieber Jörg,
AntwortenLöschendas macht Lust auf mehr ... Ja, so sollten Menschen leben.
Wenn ich daran denke, dass es noch gar nicht lange her ist, dass Menschen geruhsam vor ihrem Haus sassen, in die Welt guckten, schwiegen, plauderten - Ruhe und Zeit. Das war ganz selbstverständlich.
Sich nicht mit-reissen zu lassen - das ist ein gutes Ziel.
Vielen Dank für die Anregung!
Herzliche Grüsse.
Kati
So dürfen Menschen leben. . . (Dieser Text entstand als Geletiwort für meine erste Textrevue als Dingefinder "Wer zu allem immer nur nickt - (wird vom Schicksal ins Schiscksal geschickt) )
AntwortenLöschenDoch vom Vorsatz zum Geschehen ist oft ein weiter Weg. . .