Freitag, 15. Juli 2016

Strawberry Fields Forever





Strawberry Fields Forever

So hat es mich noch einmal „in die Walderdbeeren“ getrieben. Sie ist doch einfach zu lecker, diese Marmelade aus den kleinen Dingern. Beim Pflücken ist jede/r für sich und bei sich, und die Gedanken dürfen mäandern. Heute bin ich mit dem Fluss meiner Gedanken wieder einmal bei der Utopie gelandet, beziehungsweise, beim Fehlen der Utopien. Ein Freund sagte das letztens, dass die Utopien ausgestorben sind, „man“ ist jetzt „Realist“. Doch ich finde es wichtig, von der Utopie aus zu denken, sie als Richtschnur zu nehmen für das tägliche Handeln. „Ideale sind wie Sterne, man kann sie nicht erreichen, doch sie weisen einem den Weg“, das ist ein spanisches Sprichwort.

Um die Menschenwelt ist es nicht zum Besten bestellt, das ist offensichtlich. Ich schreibe hier von „Menschenwelt“, denn ich meine, nicht „die Welt“ ist schlecht. Unsere Welt ist eher schön und liebenswert. Wenn ich mir Sammeleimer und den Wanderstock nehme, und die Wege außerhalb von Fredelsloh gehe, um zu meinen „strawberry fields“ zu gelangen, darf ich mich immer wieder an der Landschaft und ihrer Vielgestaltigkeit erfreuen, werde auf dem Weg von den Ziegen begrüßt, die auf der Weper zusammen mit Schafen gehalten werden, um auf den Kalkmagerrasen für die selteneren Pflanzen das Buschwerk nieder zu halten; ich darf mich an den Blüten von Wildorchideen, Skabiosen, Hauhechel und vielen anderen erfreuen, dazwischen gaukeln die Falter, welche die Blüten besuchen; über mir, in den Büschen und Bäumen, welche den Wanderweg säumen, reifen die Früchte heran, wilde Kirschen, Mirabellen, Schlehen, und noch weiter über mir, im blauen Himmel, zieht der Milan seine Kreise.

Das alles sind Zeichen einer Welt, an deren Schönheit ich mich erfreuen kann, und wenn ich das alles erleben darf, bekomme ich ein Gefühl dafür, wie die Welt „gedacht“ ist. Nein, die „Welt“ ist nicht zu verbessern. Allenthalben das Verhalten von uns Menschen bräuchte wohl dringend eine „Verbesserung“. Wir sind gerade dabei, das, was diese Welt ausmacht, ihre Schönheit in ihrer Vielfalt um des menschlichen Eigennutzes willen zu zerstören.

Es ist nicht die „Welt“, die uns mit Kriegen gegen uns und alles überzieht, wir überziehen die Erde mit Krieg, Zerstörung, Gewalt. Und da gibt es nicht den „Zweiten Weltkrieg“ und den „Ersten“, als zeitlich begrenzte Ereignisse, die letzten paar hundert, ja, tausend Jahre, hält dieser Krieg der Menschen gegen die Welt an. Da waren die Völkerwanderungskriege und die Römerkriege, die Kämpfe, mit denen die Christianisierung einherging, da waren der dreißigjährige Krieg, der Mitteleuropa massiv entvölkerte, da waren der siebenjährige Krieg, unter dem auch meine Wahlheimat hier litt, und so weiter, und dazwischen Bauernkriege, Scharmützel, kleine und große Feldzüge, und dazwischen Ausbeutung und Kahlschlag der Natur ringsum, Grobheit und Gewalt den einfachen Menschen gegenüber und der einfachen Menschen untereinander, Hexenverbrennungen, schwarze Pädagogik, unglaublich niederdrückende Arbeitsverhältnisse der Tagelöhner auf dem Land und in den Fabriken.

Wir Menschen haben der Welt weder Schönheit noch Frieden gebracht, sondern sind immer und überall als Eroberer gekommen. Sicher, es gab (und gibt) immer auch Menschenoasen, in denen Menschen mit der Welt in Eintracht und Frieden lebten, doch dann kamen andere, wie zum Beispiel in historischer Zeit die Weißen nach Nordamerika, und die Idylle war dahin. Nein, wir Menschen sollten uns nicht in den Gedanken versteigen, die „Welt zu verbessern“. Diese gute und bessere Welt zerstören wir gerade.

Doch die Welt ist alt genug, hat seit ihrer Entstehung einiges an Katastrophen, Klimawandel und Eiszeiten überlebt, und ist immer wieder in alter Schönheit erblüht, sie wird auch uns Menschen überstehen. Denn Schönheit ist ihr inneres Wesen. Wir Menschen dürfen uns entscheiden, ob wir dazu gehören wollen, ob wir eins damit sind, oder ob wir als Eroberer kommen, und uns „die Erde untertan“ machen, um ihr unseren gewalttätigen Stempel aufzudrücken. Mit diesem Versuch, der zusehens am Scheitern ist und absehbar scheitert, stellen nur wir uns außerhalb „der Welt“.

Wenn ich nun versuche, meine Utopie in Worte zu kleiden, dann komme ich immer wieder dahin: Ich bin als menschliches Wesen eines mit der Erde und ihren Wesen, im Grunde untrennbar verbunden, als ein Teil, das aus ihr kommt und in sie geht. Ich möchte im Konsens mit allen Wesen leben, mit ihrem Werden, Sein und Vergehen, ebenso wie alle Wesen auch werden, sein, vergehen, und, wenn es denn so ist, nach Staub und Asche wieder in die Schönheit der Welt zurückkehren. Im Konsens mit allen Wesen, also auch mit uns, den Menschenwesen.

Daher kann ich keine „konkrete Utopie“ anbieten. Ich kann mich als einzelnes Wesen in meiner Eigenart, die mein Beitrag zu der unglaublichen Vielfalt der Welt ist, einbringen. Ich vermag meine Gedanken zu sagen und aufzuschreiben. Ich vermag auch einige  Wünsche anzubringen, hinsichtlich des Lebens von uns Menschen untereinander, ich verabscheue psychische und physische Gewalt zum Durchsetzen von Zielen, ich vermag nicht zu verstehen, wie einem Menschen dieses Land, dieser Wald, diese Wiese „gehören“ kann. Alles gehört sich selbst, und anderes ist eine Illusion, eine Illusion, die letztlich mit Gewalt durchgesetzt wurde.

Ich wünsche mir eine gemeinschaftliche Lebensweise von uns Menschen, in der sich jede/r nach seiner, ihrer Art entwickeln darf, und nicht durch die Egoismen anderer, vermeintlich stärkerer, doch im Grunde nur grausamer und gewalttätigerer, zu Dingen gezwungen zu werden, die wesensfremd sind. Ich weiß, dass sich solcherart Leben, gemeinschaftlich, im Konsens mit allen und allem zu handeln, eine Möglichkeit ist, die wir als Menschen ergreifen können.

Von dieser Utopie lasse ich nicht ab, sie ist die Quelle in mir, aus der mein Lebensmut sprudelt. Auch ich bin nicht unbeschadet durch die Schule dieser Gesellschaft gegangen, in der jahrhundertelang die Verletzungen und Traumata von Generation zu Generation gereicht wurden, und in jeder Generation neue hinzu kamen. Auch ich bin verletzt, ungerecht, fühle, dass die Gewalt in mir wohnt, auch wenn ich ihr kein zu hause bieten möchte. Ich kann nur durch Wissen damit umgehen. Durch das Wissen, dass das Menschsein, welches zu den heutigen schlimmen Zuständen geführt hat, auch in mir ist. Wenn ich den Ungeist benennen kann, dann vermag ich mit ihm umz gehen. Dann vermag ich ihn in mir zu bannen. Mehr ist mir nicht gegeben.

Doch eine „konkrete Utopie“ kann ich nicht anbieten. Wenn ich eine „schöne neue Welt“ zeichnen wollte, um von dieser Blaupause aus die „Welt“ zu „verändern“, dann käme ich wieder als Eroberer. Ich kann durch Äußerung meiner selbst einen Teil dazu beitragen, dass sich etwas ändert, doch den Konsens zum gemeinsamen friedlichen Miteinander können wir eben nur  -  friedlich miteinander entwickeln. Eben darum vermag ich nicht zu sagen, wie Weg und Ziel für uns alle auszusehen hat. Meine Utopie ist eine sehr persönliche Utopie.

Während in dieser Art meine Gedanken mäandern, knie ich im rotbetupften Grün meines „strawberry fields“, atme den heranwehenden Duft von Lindenblüten ein und das Aroma der Walderdbeeren, lausche dem Ruf eines vorbeiziehenden Turmfalken, fühle die Sonnenstrahlen auf dem Rücken, welche mich durch das Blätterwerk der schützenden Haselzweige erreichen; meine Fingerkuppen nehmen mehr und mehr die Farbe der Beeren an, die ich pflücke. Manchmal schlecke ich sie ab, und schmecke süß.


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