Avalon ist nicht nur die Insel im Nebel, die
im Nebel versunkene, es ist auch die Insel der Apfelbäume, mithin der Äpfel. In
Avalon dürfen die Äpfel gegessen werden. Das unterscheidet diese Insel von
manchen anderen Orten. Mein Avalon, meine Insel der Äpfel, fand ich im April des
Jahres, in dem in Japan ein mächtiges Erdbeben einen Atomreaktor zum Strahlen
brachte. Vielleicht ist gerade dieses Jahr das richtige Jahr gewesen, um die
Insel der Äpfel zu finden. Es war an der Zeit.
Nun ist mein Avalon keine Insel in einem
Meer, es ist eine Insel am Rande der Stadt, ich muss drei Eisenbahn- und eine Autobahnbrücke unterqueren, um
dorthin zu gelangen. Wenn ich Ausschau halte, zum Beispiel nach Osten, dann
erblicke ich einige hohe Windrotoren zur Stromerzeugung, die auf einem
renaturierten Müllberg stehen und bei schwachem Wind träge vor sich hin drehen.
Nachts lassen sie rote Lichter aufblitzen, in rhythmischen Abständen. In
manchen Nächten finde ich das schön.
Wenn ich nicht in meine Tätigkeiten vertieft
bin, höre ich ein stetes Rauschen, mal leis und sanft im Hintergrund, mal
aufdringlich und fordernd, dass es mich drängt, mich in mein klein Häuschen zu
verziehen. Ob laut oder leise, das hat der Wind in seiner Hand, kommt er eher
von Süden, dann eben laut. Das ist nicht das Rauschen des nahen Meeres, wie es
sich für eine anständige Insel gehören würde, es ist das Rauschen der nahen
Autobahn.
Begebe ich mich von meiner Insel Richtung
Norden, dann komme ich nach verhältnismäßig kurzer Zeit an eine
Hochspannungsleitung, die sehr hoch ist und manchmal etwas Bedrohliches an sich
hat, zum Beispiel, wenn sie bei einer hohen Luftfeuchtigkeit ein stets Brummen
und elektrisches Summen von sich gibt, deutlich hörbar. Es scheint dann die
Luft zu knistern, und ich bekomme ein Ziehen im Kopf, das sich so anfühlt, wie
ich mir Migräne vorstelle, wenn ich welche hätte.
Hinter der Hochspannungsleitung, nur einige
Schritte weiter, kommt ein Kanal, der den bezeichnenden Namen Maschinenfleet
hat. Schnurgerade zieht er sich durch die Marschen, wunderbar gekleidet bis
fast zu Kanalmitte mit Teichmummeln und Teichrosen. Ich habe bei meinen
Wanderungen an diesem Fleet schon einige Male den Fröschen gelauscht.
Die Bewohnerinnen und Bewohner der Inseln um
mich herum sind denn auch keine Feen, Meerwesen, Merline, es sind meist
Arbeiterfrauen und Arbeiter aus Walle und Gröpelingen. Auch sie haben sich hier
ihre Inseln geschaffen, ihre Gartenzwergidyllen, ihre Kartoffeläcker, ihre
grünen Inseln, ihre Kleinstaaten, wo sie selbst regieren. Größtenteils
jedenfalls, denn etwas hat auch der Vereinsvorstand mitzuregieren.
Woher weiß ich nun, dass es Avalon ist, was
mir geschenkt wurde? Es sind die Apfelbäume. Die haben es mir erzählt. Auf
meiner Insel sind elf Obstbäume: Eine frühe Zwetschge, eine späte Zwetschge,
eine japanische Birne, Nashi, glaube ich, heißen die, und acht Apfelbäume.
Kurz nach dem ich
meiner Insel begegnete, oder sie mir, oder wir uns, es war noch April, die
Apfelbäume blühten freudig, fand ich auf dem Flohmarkt an der Weserpromenade,
richtiger gesagt, nach dem Flohmarkt, ein zurückgelassenes Bild in einem
schlichten hölzernen Rahmen hinter Glas. Es war ein gezeichneter Apfelzweig mit
Blättern und Blüten, es waren die Blüten meines neuen Gartens auf dieser
Zeichnung. Signiert ist es mit G. O 1946, was mich sehr berührte: Entstanden
ist dieses kleine Kunstwerk im ersten Frühling nach dem großen Krieg.
Ich meine nicht, dass das ein Zeichen war, oder ein Omen, oder ein Symbol
für irgendwas, all diese Worte sind unzulängliche Bezeichnungen für einen Vorgang,
in dem sich im richtigen Moment das Richtige findet. Es ist der Augenblick, in
dem dir die Göttin zuzwinkert, wo dir die Welt sagt, es ist alles okay, es ist
alles wie es ist. Und du zwinkerst zurück und lächelst und sagst: Ja, es ist
alles okay, es ist alles wie es ist. So kommen die Dinge zu dir. Es gibt diese
Augenblicke, wo du weißt. Augenblicke der Weisheit. Es war der Augenblick, in
dem ich wusste, dass ich mein Avalon gefunden hatte.
Lieber Herr Krüger,
AntwortenLöschenich bin über Xing auf ihren Blog gestoßen. Die Beschreibung ihres "Avalons" ist gut gelungen. Am Liebsten wurde ich ihnen einen Besuch abstatten, vor allem jetzt, da der Frühling endlich da ist. Ich wünsche ihnen viel Freude auf der Insel. Geniessen sie das Geschenk und schreiben sie weiterhin so einladend.
Claudia Muther
Liebe Frau Muther,
Löschenirgendwie sind Sie mir durchgerutscht, und nun lese ich Ihren Kommentar erst, wo es fast wieder März ist. Ich hoffe, sie können mir verzeihen. . . (und besuchen können Sie mich hier allemal. Unser Kleingartenverein hat sogar ein Laubenpieperhotel!)
Liebe Grüße, Jörg Krüger
beim lesen sind mir die Tränen gekommen
AntwortenLöschenso schön
...mehr kann ich grad nicht sagen
wundervoll
Das berührt mich, und ich liege oben auf dem Dachboden meines KleinHäuschens, und es ist sehr früh morgens (im Frühjahr würden jetzt die Vögel singen), und ich freu mich über Deinen Eintrag,
AntwortenLöschenliebe Grüße, Jörg